Man sollte sich überlegen, was es denn für die Kirche und die Geweihten bedeutet, dass Praios im Zwölfgötterkult gemeinhin als Götterfürst gilt. Ich möchte mit einer steilen These starten und behaupten: gar nichts.
Tatsächlich hat Praios in Alveran jene bestimmende Position bzw. Verantwortung inne, die es laut H.A. schon immer gab. Aber für die aktuellen aventurischen Verhältnisse spielt eigentlich keine Rolle. "Fürst" impliziert eine Hierarchie, ein Herr-Knecht-Verhältnis, das es so weder in Alveran gibt, noch wird es in Aventurien angenommen. Die Bedeutung von Praios als Götterfürst ist fast gänzich symbolisch transzendiert, denn Praios steht als Gott des Lichts, der Sonne, der Wahrheit und Gerechtigkeit schlicht für Herrscher- oder Fürsten-Eigenschaften. Aber er steht nicht als Fürst über den anderen Göttern - so wie auch die Praios-Geweihten gleichberechtigt neben den anderen Zwölfgötter-Dienern stehen. Die Heilige Inquisition ist gerade keine zwölfgöttliche Institution, die über alle Kulte richten kann, der Bote des Lichts ist kein zwölfgöttlicher Papst, sondern eben einer von zwölf (falls es nicht sogar mehr gibt) Kirchen-Patriarchen. Naturgemäß - im Sinne: vom Wesen seines Kultes und Gottes her - hat er mehr Einfluss als der Weiße Mann. Die Rondrianer, die ähnlich großen politischen Einfluss haben, kämen sicherlich nicht auf die Idee, Praios über Rondra oder dessen Geweihten anders als neben sich zu dulden.
Dass das derisch auch anders ausgelegt werden kann, zeigen die Priesterkaiserzeit sowie das Bosparanische Reich, da der Horas immerhin nominell auch Bote des Lichts war. Historisch gesehen waren das einfach keine Erfolgsmodelle, die jeweils auch sehr klare Negationen erfahren haben: Jeweils eine Bestätigung der Trennung von weltlicher und geistlicher Gewalt. Die Praioskirche als echte Herrscherkirche hat zu oft versagt, als dass die anderen Kirchen ihr diese Rolle noch einmal zukommen lassen würden. Und die Quanionsqueste hat bestätigt, dass sich der Praioskult lieber andere Schwerpunkte suchen sollte.
Wenn eine Praiosgeweihte einem al'anfaner Boroni gegenüber als Dienerin des Götterfürsten auftritt, wird dieser daraus keinerlei hierarchischen Anspruch ableiten, sondern findet lediglich ein Bekenntnis zu im Norden verbreiteten Glaubensvorstellungen. Problematisch wird das in der Tat nur dadurch und erst dann, wenn der theologische Disput irgendeinen Zweifel an der Legitimität des al'Anfaner Patriarchen aufkommen lässt, was bei einer formalen Theokratie durchaus der Fall sein kann. Relevant hierfür ist das der reine Widerspruch dem Patriarchen gegenüber, nicht primär das Götterfürsten-Dogma. Man kann seine Überzeugungen
DnD-Flüchtling hat geschrieben: ↑22.02.2021 23:25
Dazu etwas Kontext: 1984, als das Pantheon gestaltet worden ist, war Boron das, was einem "bösen" Gott am nächsten kam - seine Diener konnten Untote beschwören oder zumindest kontrollieren, sein Kult war in weiten Teilen Aventuriens verboten (!) oder halblegal und seine Priester bewegten sich in klandestinen Sektenkreisen. Die Al'Anfaner waren also quasi die erste Gemeinschaft von Heretikern, die es in DSA (outgame) gab.
Überbleibsel davon finden sich eher im Nischenkult des Lowanger Dualismus (gerade mit Praios als Antipode) sowie an andere Kulte/Zeiten (Visar in den Dunklen Zeiten) und Totengötter (Tairach) sowie Dämonen (TGT, Nirraven) ausgelagert. Dass Al'Anfa lange Zeit die Antagonistenrolle übernahm, mag zwar ebenfalls damit zusammenhängen, aber das lag schon nicht mehr am Boron-Glauben.
Seidoss-Anima von Seelenheil hat geschrieben: ↑23.02.2021 00:38
Wie man nördlich der Ratschul-Drol Linie von Al'Anfa denkt, zeigt der Khom Krieg, wo das Mittelreich den immerhin 12G Gläubigen Al'Anfanern die Wacht angesagt und sich auf die Seite der ketzerischen Novadis geschlagen hat.
Das zeigt eher, dass die verantwortlichen Autoren größere Fans von "Laurance von Arabien" waren, als dass sie sich überlegt hätten, was sich aus den politischen Konstellation ergeben müsste. Dazu nur Stichworte: Kaiser des Mittelreichs mit Al'Anfanerin verheiratet, Al'Anfa als natürlicher Verbündeter gegen einen viel wichtigeren Abtrünnigen in Vinsalt, absehbare Bedrohung Südalmadas durch das Kalifat (damals auch noch gegen den aranischen Reichsteil in Gorien), sehr viel größere Ferne des Rashtullah-Glaubens vom mittelreichischen Zwölfgötterkult.
Besser ist es, den Khômkrieg, so wie er publiziert ist, zu ignorieren. Der für den Thread entscheidende Punkt ist: Der Khômkrieg ist keinerlei Zeugnis dafür, wie man im Mittelreich über den al'anfaner Glauben denkt.