Ich weiß nicht ob ich unbehaglich sagen würde, vielleicht weil ich es aus dem realen Leben gewohnt bin, aber es ist auffällig, manchmal unlogisch und zuweilen befremdlich. Mich stört es weniger wenn man Großmachtfantasien ausleben möchte und den gesamten Kontinent ungeschlagen erobert. Die Konsequenz, dass man dann aber realweltliche, nicht europäische Äquivalente dann auf einen minimalen Raum quetschen muss ohne dass sie sich dann wirtschaftlich und kulturell entfalten können (oder sehr große Sprünge auf einem kleinen Raum stattfinden müssen), wie bspw. mit den Tulamiden geschehen, stört mich dann doch. Das forciert oder nein eher fördert dann natürlich eine Reduktion der unterschiedlichen jahrtausendealten Kulturen zu einem "Orientalen" oder in DSA "Tulamiden".Thorgrimma hat geschrieben: ↑25.09.2020 22:27 Ich frage mich, wie es nun für Schwarze oder andere People of Color ist, [...] oder fühlen sie sich doch irgendwie durch die Zentrierung auf den mittelreichischen Blick unbehaglich?
Das ist in der Realität leider nicht anders. Es ist erstaunlich wie oft ich gefragt werde, ob Iran oder Irak eigentlich das Gleiche sind, ob ich Türke bin oder wie erstaunt ca. 80% der Menschen sind, wenn ich sage dass in Iran Arabisch nicht Landessprache ist und es auch kein arabisches Land ist. Auf der anderen Seite ist mir natürlich auch bewusst, dass man sich hierfür interessieren muss und dieses Interesse nun mal eher die seltene Ausnahme darstellt.
Ich persönlich bin sehr stolz auf meine Kulturen. Auf meine Deutsche genauso wie auf meine Iranische. Wenn ich deutsche oder persische Literatur lese, empfinde ich einen tiefgehenden Genuss, der mich innerlich erfüllt. Wenn ich die philosophischen Gedanken der Iraner und Deutschen lese, dann beschäftigen mich diese Gedanken über eine lange Zeit hinweg und ich bin immer wieder erstaunt zu welchen Gedankenleistungen der Mensch doch fähig ist. Aber ich freue mich auch über „Kleinigkeiten“ wie einem deutschen Frühstück oder einer schönen Formulierung im Rahmen des Taroffs.
Warum schreibe ich das: Wenn zwei doch solch unterschiedliche Kulturen wie die deutsche und iranische eine solche Schönheit an Kultur und geistigem Schaffen hervorbringt, warum, so frage ich mich, sollte das für andere Kulturen anders sein und ist es nicht erstrebenswert auch in anderen Kulturen diese Schönheit zu erkennen?
Auf dieser Basis habe ich mich entschieden immer offen meine kulturelle Identität auszuleben und wahrzunehmen und in einen offenen Dialog mit der jeweils anderen Kultur einzusteigen (sprich als „Iraner“ in den Dialog mit der deutschen Kultur in Deutschland und andersrum in Iran). Ich bin immer offen und erläutere gerne Bräuche und deren Hintergründe, denn für mich ist die beste Waffe gegen Stereotypen und Rassismus der offene Dialog und meinem Gegenüber die Option anzubieten, eine weitere kulturelle Ausprägung der jeweiligen, zu dem Zeitpunkt fremden, Kultur kennenzulernen und ihren Hintergrund zu verstehen. Die Entscheidung meine Kultur dann abzulehnen will ich ihm oder ihr gar nicht nehmen, nur ich möchte dass er/sie zumindest ein weiteres Bild kennenlernt bevor sich seine/ihre Meinung zementiert.
Als Folge dessen bin ich zwar der Ansicht, dass man durchaus einige Verallgemeinerungen oder sagen wir Gemeinsamkeiten für einen weiteren Kulturkreis festlegen kann, sprich, um beim Beispiel zu bleiben, also eine*n „Basis-Rumpf-Tulamiden/-in“ definieren kann. Der fungiert dann quasi als der Stereotyp-Tulamide, den ich als schnellen NPC anbieten kann oder im Gesamtkontext einen sehr groben Einstieg in die Region ermöglicht ("das ist so wie der irdische Orient"). Aber dann sollte man doch auch weitergehen und eine weitere Ausdifferenzierung anbieten, in einigen Punkten vom Standard abweichen und so ein vielschichtiges und diverses Bild schaffen und zwar immer dann für den Fall, wenn der Tulamide bzw. die Tulamidin mehr als nur eine kurze Zufallsbegegnung ist. Und so wie ich es verstanden habe ist das auch das Ziel der DSA Redaktion (über die Umsetzung lässt sich bestimmt streiten, aber ich habe dazu aktuell kein Bild).
Außerdem ist die DSA Spielerschaft hierfür auch total offen und interessiert sich auch sehr stark dafür und es ist doch total schön, wenn man diesen Aspekt so in sein Rollenspiel einfließen lassen kann. Mein Beispiel Tulamidistan gehört, wenn man sich mal die Abstimmungen zu diesem Thema anschaut, zu den beliebtesten DSA Regionen und im Rahmen meiner Spielhilfe und auch außerhalb davon erhalte ich immer wieder Rückfragen und Dank. Ich werde häufig gebeten mehr Details zu liefern, eine Anfrage, im Sinne von „wie ist denn der Klischee Tulamide“ wurde mir dagegen noch nie angetragen. Auch hatte ich persönlich nie das Bedürfnis, dass mir eine Spielhilfe Vorschläge liefert wie ich denn möglichst effektiv rassistisch bin und auch diesbezügliche Vorschläge wie z.B. die Tulamiden die Essenskultur der Mittelreicher (und andersrum) betrachten fand ich schon immer total befremdlich (und darüber hinaus im historischen und aktuellen Vergleich auch falsch, was dazu führt, dass sich ein falsches Bild darstellt). Eine kritische Reflexion von außen (bspw. einer fremden Sitte) von jemandem der oder die sich damit (IG) ausreichend beschäftigt hat, mit einer nachfolgenden Beschreibung wie das in Wirklichkeit ist und vor allem warum es so ist bzw. gemacht wird, finde ich dagegen in Ordnung (und habe ich auch selber im Rahmen meiner Spielhilfe eingesetzt). Und ich denke das betrifft nicht nur die Tulamidistani. Auch für andere Kulturen interessiert man sich primär für eine Differenzierung der Kulturen (gerade wenn ich mir eine separate Spielhilfe zu dem Thema kaufe) und nicht für eine Reproduktion von Stereotypen oder dem möglichst guten Ausspielen von ingame Rassismus. Ich behaupte Letzteres gelingt sogar besser, wenn die Kulturen ausdifferenzierter sind (und man das unbedingt beim Rollenspiel ausspielen möchte…)
Ich habe ehrlich gesagt noch nie eine Tulamidin oder einen Tulamiden so gespielt, wie es mir von der Redaktion vorgegeben/skizziert wurde. Lange Zeit habe ich das sogar so konsequent abgelehnt, dass ich weder in der Region noch selber einen Tulamiden als SC gespielt habe. Die Gründe sind sehr vielfältig, aber zusammengefasst würde ich sagen lehne ich die Darstellung der Tulamiden/Tulamidinnen als „Karl May Muslime“ Klischee ab. Es ist also nicht nur so, dass die Kulturen stark reduziert und zusammengefasst werden, sondern das Grundbild ist größtenteils eine Ansammlung von falschen Klischees und Vorurteilen.Thorgrimma hat geschrieben: ↑25.09.2020 22:27 Ich frage mich, wie es nun für Schwarze oder andere People of Color ist, in Aventurien zu spielen. Fühlen sie sich mit ihren Erfahrungen in Aventurien willkommen
Ein Beispiel: Man muss sich vor Augen führen, dass die Geschlechter Aventuriens quasi in der gesamten Menschheit gleichberechtigt sind. Auch Unterschiede wie hinsichtlich der Kraft wurden zwischen den Geschlechtern abgeschafft. Dennoch sind die Tulamiden und Tulamidinnen nicht gleichberechtigt ohne dass es einen ingame Grund gibt. Für mich stellt sich also die Frage warum ist das so? Es muss ja einen expliziten Grund geben, wenn man quasi die gesamte Menschheit als gleichberechtigt darstellt und man dann auf der anderen Seite explizit eine menschliche Kultur diesbezüglich ausschließt. Es ist auch nicht so, dass das ein ingame Klischee ist, nein hier wird quasi redaktionell festgelegt, dass dem genauso ist. Ich kann es mir hier nicht anders erklären, als dass hier ein Vorurteil seitens der Redaktion existierte und in DSA verankert wurde. Eine andere Frage ist die, zu was führt diese Festlegung? Dafür muss ich nur ins Forum schauen und finde dann Aussagen von Forenmitgliedern, wie tulamidische Männer sind Vergewaltiger, die ihre Frauen rauben, versklaven und die Frauen sind geistlose Sklavinnen die sich ihrem Schicksal ergeben. Tulamiden sind geldgierige Sozialdarwinisten die ihre Kinder in die Sklaverei verkaufen usw. Hier werden also irdisch rassistische Vorurteile in DSA reproduziert und befeuert oder von Spieler*innen adaptiert. Eine ganze Volksgruppe, wie die vergewaltigende Ferkinas, deren Vergewaltigungen dann noch ausführlich in Romanen beschrieben werden, fundieren diesen Rassismus dann umso weiter. Das hat für mich nichts mehr mit ingame Rassismus zu tun und hier muss man meines Erachtens entschieden handeln.
Man hat sich vor 20-40 Jahren vielleicht nicht so viele Gedanken diesbezüglich gemacht, aber man hat viele rassistische Bilder aufgebaut und über die Jahre hinweg ausgebaut (im Übrigen sehe ich im Kern das gleiche Problem mit der katholischen/christlichen Kirche und der Praioskirche, um mal eine andere Kategorie dieses Problems zu beleuchten). Wenn man nun mit diesen Bildern brechen möchte, dann finde ich das mehr als begrüßenswert, ja eigentlich sogar überfällig. Ob und wieweit das Sensitivity Reading und die anderen von Ulisses ergriffenen Maßnahmen (wie die oben genannte Differenzierung der Kulturen) hier zum Ziel führen will und kann ich zum aktuellen Zeitpunkt nicht beurteilen, ich finde es aber gut dass man sich der Problematik dahinter bewusst ist und diesen Missstand beheben möchte (aus welcher Motivation auch immer).