Jorn Ulfdrson hat geschrieben: ↑01.07.2020 11:28
@hexe Ja, dass könnte man so sagen. Wobei ich meine Probleme mit der teilweise unfundierten und schlecht recherchierten Berichterstattung in deutschen Medien hatte/habe.
Es gibt im Journalismus, wie in jeder Berufsgruppe, Fehler und Stärken und Schwächen. Ich finde es immer sehr gefährlich, aus einzelnen Berichten direkt eine "Berichterstattung
in den deutschen Medien" zu stricken. Wer wollte, konnte sich auch in deutschen Medien so gut und umfassend über den Wissensstand zu Corona informieren, wie er eben vorhanden war. Und das schließt natürlich auch mit ein, dass selbst die Experten anfangs nicht immer Antworten hatten.
Jorn Ulfdrson hat geschrieben: ↑01.07.2020 11:28
Denn ja, auch hier gibt es gewaltige Einschnitte in das tägliche Leben, die historische Ausmaße haben (zum Beispiel die Tatsache, dass eines unserer Grundgesetze dahingehend eingeschränkt wurde, dass nur noch bis zu 50 Personen an einer polit. oder kulturellen Veranstaltung teilnehmen dürfen).
"Historische Ausmaße" klingt ebenfalls direkt so wunderschön drastisch. Nun hatte und hat ja auch die Pandemie unzweifelhaft "historische Ausmaße", möglicherweise ist es also nur logisch und folgerichtig, wenn auch die Reaktion darauf nicht allein auf Routine und Weiter-So beruht.
Wenn ich mir die Bilder und die Personenanzahlen der Proteste sowohl gegen die Corona-Maßnahmen als auch zum Beispiel im Zuge der "Black Lives Matter"-Demonstrationen vor Augen führe, kann ich keine Einschnitte von historischem Ausmaß im Grundgesetz erkennen: Es wurde demonstriert, und was es an teilweise verschärften Regeln gab, wurde schon nach sehr kurzer Zeit wieder aufgeweicht. Das Grundgesetz ist ja kein unabänderliches Ding, das jetzt die nächsten 500 Jahre gilt. Es wird immer wieder mal verändert, angepasst, und es liegt in der Natur der Sache, dass das Grundgesetz auch Gegensätze vereinbaren muss, die in ihrer radikalen Form unvereinbar sind (Freiheit des einen vs. Schutz des anderen).
Im Übrigen sind auch Einschränkungen des Grundgesetzes nichts Historisches. Fußballfans zum Beispiel müssen sich schon jetzt im Alltag gefallen lassen, dass ihre Grundrechte teilweise erheblich eingeschränkt werden, mit der Begründung "Sicherheit" (dabei haben diverse Volksfeste auch prozentual deutlich höhere Zahlen an Gewalt- und sonstigen Verbrechen als Fußballstadien). Ähnliches gilt für andere Gruppen oder andere Situationen. Da ist mir eine dezidiert befristete Einschränkung an Grundrechten, die auch anschließend tatsächlich wieder gelockert wird (oder glaubt hier allen Ernstes jemand, wir werden langfristig Personenlimits bei Demos haben?) deutlich lieber, als Einschränkungen, die die Polizei sich nehmen darf, wegen "Terrorbekämpfung", "Gefahrenabwehr" oder ähnlichem, und die vermutlich ewig bleiben.
Jorn Ulfdrson hat geschrieben: ↑01.07.2020 11:28
Gleichzeitig verstehe ich, dass aufgrund der legalen Möglichkeiten des schwedischen Staates, der Eindruck entstehen kann, dass man fahrlässig mit der Situation umgeht.
Ich finde es generell gefährlich und irreführend, vorschnell mit Begriffen wie "fahrlässig" zu hantieren. Klar ist: Als die Pandemie ausbrach, gab es sehr wenige Informationen und eine dünne Datenbasis auf der Politiker ihre Entscheidungen treffen mussten. Schweden hat damals eine Entscheidung getroffen, Deutschland ebenfalls. Die schwedische Entscheidung wurde lange Zeit auch in Deutschland als Gegenmodell präsentiert und anfangs auch benutzt, um Kritik an der deutschen Entscheidung zu üben. Wir sehen jetzt: Es ist alles nicht so einfach, und höchstwahrscheinlich gab es keine idealen Entscheidungen.
Es gab nur eindeutig schlechte Entscheidungen. Zum Beispiel in den USA, wo alle administrativen Entscheidungen allein unter dem Fokus getroffen wurden, sich selbst möglichst in ein gutes Licht stellen zu können und die Gefahren kleinreden zu können. Da wäre bei mir in der Tat die Grenze zu "fahrlässig" erreicht. Bei Schweden nicht.