Thymian hat geschrieben: ↑10.07.2018 11:38Auch wenn ich Dir weitgehend zustimme: In Aventurien sind Männer und Frauen nicht nur halbwegs gleichwertig in körperlichen, geistigen und sozialen Belangen (wie es, um mich ein wenig aus dem Fenster zu lehnen, irdisch der Fall ist), sondern exakt gleichwertig.
Die körperliche Gleichartigkeit der aventurischen Geschlechter ist eine mögliche Interpretation (u.a. des Generierungssystems), aber nicht die einzige. Irdisch ist eine solche schon gar nicht gegeben. Und es geht auch nicht darum, biologische Unterschiede zu negieren, um soziale Unterschiede zu nivellieren, denn offenkundig ermöglichen gleichbleibende körperliche Bedingungen gänzlich verschiedene soziale (Geschlechter-)Gefüge. Problematischer Weise wird hier in einer der wenigen Aussagen, die in DSA-Texten zur Geschlechterphysis getroffen wird, ein solcher Zusammenhang hergestellt, heißt es etwa in der Geographia (S. 18): "Da die aventurischen Frauen üblicherweise dem Manne wenig
nachstehen, was Körperkraft und Ausdauer betrifft, treten beide Geschlechter in aller Regel gleichberechtigt auf."
Zum einen dokumentiert der Satz einen durchaus vorhandenen, aber eben geringeren Unterschied männlicher und weiblicher Körperlichkeit als irdisch. Zum anderen leitet er soziale Gleichberechtigung kausal von körperlicher Gleichartigkeit ab. Das erklärt zum einen mitnichten, warum es in Aventurien auch andere soziale Modelle gibt (auch wenn die verglichen mit der güldenländischen Kulturdominanz in der Minderzahl sind) und zum anderen zerstreut es die eigentlich Utopie durch einen fragwürdigen Bedingungskontext.
Kurzum halte ich es für fragwürdig, positive Gesellschaftsbilder durch Anpassungen des Naturells anstatt von einer anderen ideengeschichtlichen Basis aus zu begründen, wohl wissen, dass es diese in DSA durchaus gibt - und jene eigentlich umso überflüssiger erscheint.
Andwari hat geschrieben: ↑10.07.2018 11:48Eine Travia-Sexualmoral leitet sich also indirekt aus einer "Beziehungsstörung" in der Familie durch Fremdgehen usw. her = da wären eigentlich unverheiratete Abenteurer und die Dorfjugend außen vor, so lange alle ihr Rahjalieb sammeln.
Ich greife das mal als Anknüpfungspunkt auf: In der zuverlässigen, leicht zugänglichen und weithin anerkannten Verhütung - deren Begründung ja nicht im Gesellschaftskonzept der DSA-Welt liegt - offenbart sich ein Teil der Antwort auf die Frage der aventurischen Sexualmoral. Liebe als Selbsterfüllung und Sexualität als unverbindliche Freizeitbeschäftigung sind ja erst in der jüngeren irdischen Geschichte gangbare Konzepte. Dagegen sprachen lange nicht nur dogmatisch konservierte Irrationalismen, sondern handfeste sozio-ökonomische Gründe bzw. gibt es einen Sinn hinter jenen Mentalitäten, die wir heute entzeitlicht als rückständig wahrnehmen, die aber in ihrer epochalen Eigentümlichkeit verstanden werden müssen.
Dass Sexualität zu ungewollten Schwangerschaften führt, dürfte eines der Grundprobleme zumal in Gesellschaften sein, in denen ökonomische Not den Normalfall darstellt, weshalb - Jadoran hat das schon ausgeführt - restriktive Ordnungen (zu denen stabile Familien- und überschaubare Gemeinschaftsstrukturen zählen) kulturübergreifend einen gewissen zivilisatorischen Stand markieren, der gerade einmal seit zwei Generationen als überwunden gelten kann (und beileibe nicht überall und vielfach nur partiell).
Über die aventurische Gesellschaft wissen wir diesbezüglich eigentlich nur, was Andwari bereits zusammengefasst hat. Wir haben eine Zustandsbeschreibung, deren Ursachen wir uns irgendwie herleiten können. Es leuchtet zwar ein, dass gute Luft, eine hervorragende medizinische Versorgung und dergleichen zu anderen Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens führen. Tatsächlich erwuchs die Gesellschaft der DSA-Welt - wie Jadoran schon sagte - nicht aus irgendwelchen theoretischen Überlegungen, sondern aus Setzungen nach dem Diktum: Wünsch dir deine Fantasywelt. Zusammenhänge dürften sich mehrheitlich
zufällig ergeben. Natürlich können relativ moderne Gegebenheiten - und genau das beschreiben [URL=
Andwari @ Aventurische Sexualmoral, Herleitung aus Religion, Sozialisierung und irdischem Klischee (+ allgemeiner Diskurs)]Andwaris Punkte A bis C, welche sehr gewichtig sind - zu modernen Gesellschaftsformen führen. Und dass Rahjalieb gut funktioniert, weil man keine schwangeren oder enthaltsamen Heldinnen wollte, fügt sich natürlich ebenso praktisch. Andererseits werden (wenigstens scheinbar) schwer integrierbare Setzungen als störend empfunden (z.B. die Sexualmoral der Traviakirche), die aber gewiss ebenso wenige synthetisch ihren Weg in die Welt gefunden haben, sondern fragmentarisch - von irgendeiner (anderen) irdischen Anleihe - hinzuaddiert wurde.
Insofern bedeutet es ein gerüttelt Maß eigener Konstruktionstätigkeit, um ein kohärentes aventurisches Gesamtbild (zum Thema des Threads) aus (möglichst vielen) offiziellen Setzungen abzuleiten.