„Steinerne Schwingen“ lässt mich zwiegespalten zurück. Einerseits liefert es ein tolles Abenteuer zu einer wunderbaren Setting-Box, andererseits hat es eine ganze Reihe von Problemen, die sich zum Teil erst beim Spielen offenbaren.
Fangen wir mal an.
Eines der Hauptprobleme, vor allem zu Beginn, ist die fehlende Stringenz des Bandes. Ja, das ist zum Teil dem Sandbox-Aufbau geschuldet, aber irgendwo würde man sich am Anfang schon wünschen, dass eine deutlich sichtbare Hauptaufgabe und eine Verbindung der Einzelteile zumindest vorhanden wären. Stattdessen hat man ein sehr starkes CRPG-Feeling von: 'Ich fülle mal mein Questbuch'. Und die Questen selbst vermitteln sehr schnell das Gefühl, dass man mal wieder von Inkompetenz umgeben ist – vor allem was das Phänomen der Schattenpfade und Nirgendgassen angeht. Seit 1500 Jahren nutzt man in Gareth diese offenbar recht ausgiebig und ist sich bewusst, dass sie vorhanden sind – aber offenbar hat sich, trotz drei Phextempeln, zwei Hesindetempeln, mindestens vier Praios-Tempeln (plus Stadt des Lichts), zwei Magierakademien plus mehreren Ordenshäusern, noch nie jemand die Mühe gemacht, dieses extrem auffällige Phänomen zu untersuchen und zu dokumentieren.
Stattdessen stößt nun halt die Heldengruppe ganz zufällig an allen Ecken der Stadt auf diese Feenweltschnipsel.
Ja, man kann hier die Szenarien in andere Abenteuer einbinden und das ganze über einen längeren Zeitraum strecken, das verstärkt allerdings nur das Zerfaserungs- und Stringenzproblem. Die Spieler werden große Probleme bekommen, einzuordnen, was wozu gehört und welche Ereignisse relevant wofür sind und welchen Dingen sie jetzt als erstes nachgehen sollen.
Die gebotenen Szenarien sind dabei Ok aber nicht herausragend. Und die beiden Nirgendgassen – Schutentrift & Ugdalfspark – die vermutlich Helden anziehen würden wie Speck die Fliegen, werden gar nicht behandelt, außer mit ominösen Aussagen, die eigentlich nach all den Schattenpfad- und Nirgendgassen-Untersuchungen nur bewirken, dass sich die Helden diese beiden sehr gefährlichen Varianten davon ganz genau ansehen wollen.
Insgesamt sollte man sich bei diesen ganzen Szenarien einen gemeinsamen Auftraggeber suchen, z.B. die Hesindekirche, die endlich einmal diese ganzen Phänomene untersuchen und dokumentieren lässt.
Bei 'Leiche auf Abwegen' sollte man sich als SL dringend auf eine Handvoll der geschilderten Schnitzeljagd-Ereignisse beschränken, der Nervfaktor ist sonst extrem hoch für die Spieler.
Im Szenario 'Die leute vom Dämmertor' kam zumindest in meiner Spielrunde sofort die logische Frage auf, warum noch niemand diese Nirgendgasse zerstört hat. Die Insassen könnten problemlos diverse hochgestellte Personen umbringen oder in die NLB einbrechen – zum Glück sind das alles rechtschaffene Looser und deswegen macht das keiner.
Die Geschichte um den Einbruch in den Hesindetempel ist soweit in Ordnung, auch wenn hier mit Garantie die Frage gestellt wird: Woher weiß Aarbilar, dass er auf diese Weise in den Asservatenkeller des Pentagontempels einbrechen kann? Und nein, der Zeyad-Dimach kann ihm dies nicht verraten haben, denn den beschwört er erst, nachdem er dort eingebrochen ist.
Danach geht das Zerfaserungsspiel weiter und beinhaltet nun einen extremen Anteil von Backtracking: Man besucht die Schattenpfade und Nirgendgassen aus Kapitel 1 nun alle nochmals, um dort das Chaos des Z-D zu bekämpfen. Angesichts dessen, dass der am Tag wenigstens 3 dieser Feenweltsplitter aufsucht, kann man sich ausmalen, dass für irgendwas anderes als Feuerwehr spielen keine Zeit bleibt. Und erneut glänzt Gareth mit kollektiver Inkompetenz, denn offenbar sind nur die Helden in der Lage, die Probleme zu lösen. Das kann man natürlich auch ändern und delegieren, aber dann steht man wieder vor dem Problem: Wofür braucht es die Helden? Gareth hat eigentlich genug kompetentes Personal, den ganzen Kleinschlag selber in Ordnung zu bringen.
Auch der oder besser die Bösewichter hinter dem ganzen machen es nicht viel glaubhafter. Da haben wir Aarbilar, eine drittklassigen Paktierer aus Yol-Ghurmak und Rosthaut, einen soziopathischen Gargyl. Und dieses Gespann bringt nun die größte Stadt des Kontinents an den Rand der Zerstörung.
Kapitel 3 habe ich dann weitgehend auf die Konfrontation bei Bambel & Söhne zusammengedampft, wo die Helden direkt auch Desmona befreien konnten. Wenigstens schwenkt das Abenteuer ab hier auf einen geradlinigen Kurs ein.
Kommen wir zu Kapitel 4. Hier kann man eigentlich sämtliche Seiten zum Einbruch in den Tempel der Sonne direkt rausreißen. Das ganze Szenario ist einfach Unsinn. Dramaturgisch und rein aus Coolness kann ich zwar verstehen, warum es angeboten wird – Wer wollte nicht schonmal in den größten und heiligsten Praiostempel einsteigen? - Aber es funktioniert schlicht und einfach nicht. Man bricht dort nicht ein, um irgendeine kleine Monstranz mitgehen zu lassen: Man will dort eine mehrere Kubikmeter große, tonnenschwere Statue klauen. Die obendrein in 70 Metern Höhe auf dem Gesims der zerstörten Kuppel steht. In einem Arcanen Interdictum.
Wenn man hier ein Einbruchsszenario gestalten will, dann sollte man auch dafür die Versteigerung nutzen und lieber ins Auktionshaus Aurodor einbrechen. Das erscheint zumindest irgendwie machbar.
Die Auktion selber ist schön und kann gut genutzt werden, um die Helden mal auf dem gesellschaftlichen Parkett Gareths agieren zu lassen.
Insgesamt stellt dieses Kapitel aber sehr berechtigt die Frage: Warum geht man nicht einfach hin zur Praioskirche, schildert das Problem (Wenn wir Gagol nicht wieder das Feenreich bewachen lassen, dann zerstört Aarbilar dasselbe und damit eure Stadt!) und lässt sich die statue aushändigen? Erneut wirft das ein sehr schlechtes Licht auf die Kompetenz der Garether Institutionen.
Das Noionitendorf habe ich dann wieder massiv zusammengestrichen. Wer hier nicht nach all den Schattenpfaden und Nirgendgassen innerhalb von zehn Minuten mit einem ODEM oder OCOLUS das Tor ins Feenreich gefunden hat, ist selber Schuld und kann sich dann auch zurecht Garether nennen.
Das Feenreich, wie es angeboten wird, ist schön und katastrophal zugleich. Die Idee mit dem Reisen per Inspiration ist wunderbar, wird aber in den meisten Spielrunden – zumindest die, die ich kenne – nicht oder kaum funktionieren. Und wenn man das wirklich so ausspielt, wie angegeben, wird man hier Monate (Echtzeit) an der Feenwelt alleine spielen. Das beißt sich allerdings extrem mit dem Zeitdruckgefühl mit dem Spieler und Helden in die Feenwelt gelangen. Dass mit den neun Feentürmen wieder das Questbuchgefühl aufkommt und das ganze extrem repetetiv ist (9x 'Ihr müsst Gagol wieder als Wächter einsetzen!', 'Warum?', 'Weil...'), erwähne ich nur der Vollständigkeit halber nochmal.
Vorsicht übrigens mit Mandariel. Der hatte in meiner Spielrunde sehr schnell einen sehr schlechten Ruf als Arschloch in Person weg: „Wie, der Kerl rennt los und guckt sich die Menschenwelt an und bestraft dann Gagol dafür, dass er genau das gleiche gemacht hat? Schöner König. Und dass er seine eigene Geliebte aus dem Feenreich aussperrt, zeugt auch nicht gerade von füchsischer Schläue.“
Das Abschlusskapitel präsentiert dann die Endkonfrontation, die ebenfalls an den bekannten Problemen krankt: Mangelnde Kompetenz bei allen offiziellen Stellen der Stadt. Eine extreme Zerfaserung der Aufgabe und viel Backtracking. Ich habe hier übrigens meiner Gruppe am Ende des Feenreichs (in dem eine abschließende Szene mit Mandariel und Gagol völlig fehlt) einen Beutel mit neun Gagolssteinen in die Hand gedrückt, von denen je einer an der Spitze der Feentürme in Gareth angebracht werden musste, damit Gagol und seine Schwingen den Turm wieder in Besitz nehmen können – das macht die Aufgabe für die Spieler einfach klarer.
Das man praktisch an der finalen Konfrontation mit Rosthaut und / oder Aarbilar direkt vorbei gehen kann (immerhin sagt das Abenteuer hier wenigstens, dass die Helden eigentlich nicht alle Türme allein besetzen / verteidigen können), ist auch eher unschön.
Fazit: Meine Problempunkte mögen sich sehr verheerend anhören, sind aber hauptsächlich dafür gedacht, das Augenmerk beim Vorbereiten / Aufarbeiten des Abenteuers darauf zu lenken. Insgesamt hat mir 'Steinerne Schwingen' gut gefallen. Es bietet eine sehr schöne Sandbox an der man viel Spaß in der größten Stadt Aventuriens haben kann. Es hat Sense of Wonder und viele schöne Szenen. Dominic Hladec hat hier definitiv einen Kampagnenband abgeliefert, in dem viel Herzblut und Arbeit steckt, der vieles richtig macht, aber leider auch einen ganzen Haufen Fallstricke bereit hält.
Daher von mir 3 von 5 Gagolsschwingen.