Ungelesener Beitrag
von Alrik Normalpaktierer » 16.05.2022 16:22
Kurzfazit
Nette Idee, die Ausführung geht im wesentlichen daneben.
2/5 Punkten
Handlung
Zu meiner Überraschung fand ich den Mittelteil richtig gut. Die bodenständige Heldengruppe, die mit dem Mut der Verzweiflung in den Sumpf zieht, da fast wider eigenes Erwarten Erfolg hat und sich anschließend dennoch mit unvorhergesehenen Komplikationen herumschlagen muss - und das alles relativ stringent wegerzählt.
Was davor kommt, ist - von den kurzen Stimmungstexten zum Einstieg abgesehen - jedoch zäh und uninteressant. Zudem gelingt es überhaupt nicht, die Handlung folgerichtig aufeinander aufzubauen (warum errät Perdan ins Blaue hinein Bösewicht und dessen Plan? Warum schickt er den Raben erst so spät los - mal von der Frage abgesehen, ob ein Rabe ein Kommunikationsmittel von menschlicher Intelligenz sein sollte?)
Was danach kommt, wirkt auch eher beliebig. Die Aufteilung der Schauplätze, die dazu führt, dass die Hauptfiguren das Finale aus einem Brief erfahren, ist wenig glücklich und auch in den Details wird viel Potential verschenkt - wer hätte nicht gern etwas über die Wirkung von Drachenfeuer auf das Omegatherion gelesen?
2/5 Punkten
Figuren
Gut ist, dass die Figuren mit bodenständigen Stärken und Schwächen ausgestattet sind.
Schade ist, dass aus dem cthuloiden Ansatz nichts gemacht wird - gut und böse sind klar verteilt, weder gibt es Zweifel an der Macht der guten Götter, noch weltbilderschütternde Enthüllungen, noch die Gefahr, dem Wahnsinn anheimzufallen.
Dass zumindest Gille stark sexualisiert eingeführt wird, halte ich für ein Zugeständnis an die vermutete Zielgruppe der 13jährigen Jungs, es beschränkt sich nämlich auf den ersten Teil. Dass das Verhältnis zu seiner Schwester inzestuös ist, ist dagegen das Alleinstellungsmerkmals eines "echten Büchners" (vgl. Seelenschatten - diesmal kommen wir wenigstens einen Roman ohne sexualisierte Gewalt aus).
2/5 Punkten
Aventurizität
Die Detailfülle ist teilweise erstaunlich, trägt aber auch nicht immer zur Handlung bei. Wenn Tempelbeschreibungen und Legenden ausführlich aus Spielhilfen abkopiert werden, ist das logischerweise nicht unstimmig - aber wenn das nichts mit dem Rest des Romans zu tun hat, geht es vielleicht doch eher darum, Seiten vollzukriegen.
Außerdem bedeuten aventurische Details nicht immer auch Aventurien-Gefühl: Zwar mag ich grundsätzlich die Konzentration auf das bodenständige und rückständige der Mentalität (die Szene mit dem Grenzposten zum Beispiel ist super, auch wenn sie natürlich genausowenig ins Fantelalter-Feeling passt wie die professionelle Autopsie der örtlichen Medici). Aber gerade hier hätte aus dem Kontrast zu unaussprechlichen Schrecken mehr gemacht werden müssen - das bleibt leider flach.
Auch mag aus irdischer Sicht Trallop ein Kleinstädtchen sein, für aventurische Verhältnisse dürfte es als Metropole durchgehen - und entsprechend das Lebensgefühl der Bevölkerung sein.
Genauso ist es zwar sehr spannend, einmal zu zeigen, dass es auch mitten in der Borbarad-Krise noch andere Probleme gibt und die Umwälzungen dieser Krise nicht überall in Aventurien so empfunden werden. Dass sie aber mit keinem Wort erwähnt wird - beispielsweise könnte einmal eingestreut werden, dass Waldemar wegen der Invasion im Osten oder des Falls Kurkums besorgt ist, oder Rohezal um sein Lebenswerk fürchtet - wirkt aber eher wie Desinteresse an der eigenen geschichtlichen Verortung. Gerade das Verhältnis zwischen Borbaradianismus, Namenlosenverehrung, Großen Alten und Dämonensultan bleibt im Rahmen des Romans komplett unterbestimmt, obwohl die Figurensituation da eigentlich etwas zu erfordert hätte.
3/5 Punkten
Sprache
Die Dialoge sind oft langatmig, die Schrecken bleiben entgegen des cthuloiden Ansatzes ziemlich handfest, aber viel auszusetzen habe ich nicht.
4/5 Punkten
Langes Fazit
Die Grundidee, cthuloiden Horror nach Aventurien zu bringen ist gar nicht schlecht - und auch die Verknüpfung mit dem bodenständigen Weiden und dem bodenlosen Neunaugensee gibt meines Erachtens mehr Potential als dasselbe in den Selemer Sümpfen oder den Schwarzen Landen zu tun.