Was soll das hier eigentlich?
Die Idee für diesen Thread entstammt dem WGEG2 im Smalltalk-Bereich des Forums. Die polaren Regionen unseres Planeten üben schon seit langem eine gewaltige Faszination auf mich aus. Ich habe viel gelesen aus dem "goldenen Zeitalter der polaren Entdeckung". Und vor einigen Wochen bin ich selbst von einer Expeditionsbegleitung zurückgekehrt, die mich bis 90° Süd geführt hat. Natürlich fängt man da auch an zu vergleichen, was z.B. bei DSA über den "höchsten Norden"/"tiefsten Süden" so geschrieben wurde: Wohlgemerkt, es geht hier um die eigentlichen polaren Regionen, also das, was man irdisch als Arktis bzw Antarktis bezeichnen würde. Die unterscheiden sich noch einmal krass von dem was man beispielsweise aus Nordnorwegen, Kanada oder Alaska kennt. Das sind Ecken der Welt, die nochmals ihre ganz eigenen Regeln und Herausforderungen haben und gelten (vollkommen zurecht) als die mitunter lebensfeindlichsten Ecken unseres Planeten. DSA-Publikationen, die sich damit befassen kenne zumindest ich persönlich nur wenige. So weit ich das überblicken kann ist das Abenteuer, das die SC am weitesten nach Norden führt "Folge dem Drachenhals" aus der Phileasson-Kampagne. Und das Abenteuer hat -freundlich formuliert- eine recht blumige Vorstellung davon was die Probleme/Herausforderungen einer polaren Reise betrifft. Genau diese Probleme möchte ich im Folgenden detailliert durchgehen. Quellen hierfür sind einerseits meine persönlichen Erfahrungen in der Antarktis, wo freundlicherweise viele erfahrene Kollegen mich vor vielen dummen Fehlern bewahrt haben und so sichergestellt haben, dass ich nicht als tiefgefrorenes Fischstäbchen zurückkehre. Zum anderen basiert das auf den Büchern, die sich mit dem "goldenen Zeitalter" beschäftigen: Zu nennen sind hier natürlich insbesondere die Schriften die Roald Amundsen, Fridtjof Nansen, Robert Falcon Scott, Otto Sverdrup, Ernest Shakleton, Apsley Cherry-Gararrd, Adrien de Gerlache, Borchgrevink & Co selbst verfasst haben. Dazu kommen aber natürlich auch die Bücher von deren Biografen, wie z.B. Roland Huntford, Ranulph Fiennes, Julian Sancton, Tor Bomann-Larsen, etc ... Diese sind auch insofern gut und wichtig, da diese auch über die Expeditionen berichten, die nicht mehr lebend zurückgekehrt sind und daher nicht mehr selbst berichten konnten. Als prominentes Beispiel sei hier die unselige Franklin-Expedition zur Erforschung der Nordwest-Passage genannt. Dementsprechend werden ein paar dieser Namen hier öfters fallen. Ich habe vor das in kleinere Happen zu zergliedern und einzelne Aspekte nacheinander, halbwegs systematisch durchzugehen. Ich hoffe ich kann so den SL weiterhelfen, die gerne mal ihre Helden nach Yeti-Land und darüber hinaus schicken wollen. Dabei muss man sich natürlich auch vor Augen halten, dass schon die Entdecker des "goldenen Zeitalters" Anfangs des 20.Jhd technologisch einem Aventurien Lichtjahre voraus waren, so primitiv davon auch vieles heutzutage auf uns wirken mag - Vom heutigen Stand ganz zu schweigen. Im Gegenzug mögen Magie und karmales Wirken eines Aventurien aber da einige Lösungen parat haben, auf die ein James Ross, Drygalski oder ein John Franklin keinen Zugriff hatte.
Anzumerken ist zudem noch, dass ich hier ein paar Dinge etwas gröber vereinfachen werde. Alleine schon über Packeis (siehe unten) könnte man ganze Bücherregale füllen.
Also: Legen wir los!
Lemaire-Kanal - Antarktis November 2022
1.Wann kann man überhaupt in die Antarktis reisen?
Die Antwort in kurz: Im Sommer.
Die Antwort in lang: Der Klimawandel hat die mögliche Reisesaison nochmals etwas in den antarktischen Frühling verschoben, aber auch heutzutage ist der Zugang zur Antarktis fast ein halbes Jahr abgeschnitten. Es gibt zwar heutzutage einige ganzjährig besetzte Stationen in der Antarktis (Amundsen-Scott am Südpol von den Amis, Neumayer III in Neuschwabenland von den Deutschen, Halley VI am Brunt-Eisschelf von den Briten....), die können aber auch heutzutage immer nur während der Sommermonate regelhaft erreicht werden, weswegen sich auf diesen Stationen fast über ein halbes Jahr hinweg lediglich die Überwinterungscrew aufhält. Das Problem: Rings um die Antarktis zieht sich der Packeisgürtel, welcher heutzutage meist erst im späten Frühling so weit aufbricht, dass ein Schiff überhaupt die Chance hat diesen zu passieren um überhaupt in die Nähe des Landes zu gelangen. Bereits im Herbst gefriert dieser wieder so weit zusammen, dass ein Durchkommen oft nicht mehr möglich ist - Wie es z.B. Adrien de Gerlache auf der Belgica-Expedition passiert ist. Die mussten genau aus diesem Grund in der Antarktis überwintern. Aber auch im Sommer war es nicht garantiert, dass man es schaffte den Packeisgürtel zu überwinden. Schmerzlich feststellen musste das Ernest Shakleton auf seine zweiten "eigenen" Expedition, bei der sein Schiff, die "Endurance" erst im Packeis steckenblieb und im weiteren Verlauf vom Packeis zerquetscht wurde. Die Geschichte der dramatischen Reise in den Rettungsbooten nach Elephant Island und Süd-Georgien ist ja legendär.
Temperaturen, Wetter und Lichtverhältnisse lassen es zwar zu, dass man auf dem antarktischen Festland eine längere Periode vom späten Frühling bis frühen Herbst aktiv sein kann, während der Packeisgürtel noch geschlossen ist. Dann kommt man heutzutage aber nur mit dem Flugzeug ans Ziel. Scott, Amundsen und Shakleton haben das Problem so gelöst, dass sie zuvor in der Antarktis überwintert haben um dann im Frühling möglichst früh zu starten.
Bezogen auf DSA: Beorn der Blender und Phileasson starten im Winter Richtung Yeti-Land - Realistischerweise wären die im Winter (auch aus diversen anderen Gründen) nicht mal in die Nähe des Landes gekommen.

Die Endurance - Oktober 1915
2. Eine Seefahrt die ist lustig - zumindest manchmal
Sieht man sich die irdische Geschichte an, so wurden die polaren Gewässer erst wirklich zugänglich als der Schiffsbau ordentliche Fortschritte gemacht hatte. Dies war ungefähr ab 1800 der Fall. Das äußerst lukrative Geschäft mit dem Robben- und Walfang lieferte hierzu die finanziellen Anreize Schiffe polartauglicher zu machen. Somit war der wahrscheinlich erste Mensch der das antarktische Festland betreten hat der Robbenjäger John Davies mit seinem umgebauten Robbenfänger "Cecilia" 1821. Aber auch das Militär diverser Länder hatte Interesse gefasst und versuchte Kriegsschiffe polartauglich umzubauen. Berühmt ist hier vor allem der Brite James Ross (nachdem auch das Ross-Meer und das Ross-Schelfeis benannt sind), der 1839 das antarktische Festland erreichte. Seine beiden Schiffe, die HMS Erebus und die HMS Terror (nach welchen auch zwei Vulkane benannt sind) waren umgebaute Bombarden mit spezieller Rumpfverstärkung und geringem Tiefgang, die aber nur leidlich für polare Gewässer geeignet waren: Diese Schiffe drohten nämlich, wenn sie im Packeis einfroren von diesem zerquetscht zu werden, was dann ja auch beiden Schiffen bei einer späteren Expedition unter Franklin passierte. Zudem waren das ursprünglich noch reine Segelschiffe, was eine Navigation im Eis gewaltig schwierig machte - Eine Dampfmaschine mit Propeller erhielten die beiden erst 1844. Beide waren aber die Prototypen, auf deren Basis die weitere Entwicklung der britischen Eisbrech-Schiffe beruhte. Die Schiffe mit denen Robert Falcon Scott unterwegs war (zuerst die "Discovery", später die "Terra Nova") waren zivile Weiterentwicklungen dieser Schiffe.
Den nächsten großen Fortschritt lieferte das vom Norweger Fridtjof Nansen in Auftrag gegebene Forschungsschiff "Fram" (norwegisch für "vorwärts") im Jahr 1892. Neben besonderen Rumpfverstärkungen und einer Dampfmaschine als Zusatzantrieb für die Navigation im Eis hatte diese eine besonders gestaltete Rumpfform, welche dafür sorgt, dass bei Druck durch das Packeis das Schiff angehoben und nicht zerquetscht wird. Dieses Design hat sich bis heute bei den Eisbrechern in adaptierter Form gehalten, was aber den Nachteil hat, dass diese Schiffe bei Seegang stärker schlingern, wie ich selbst schmerzhaft miterleben "durfte": Bei der Überfahrt über die Drake-Passage, welche als eines der unruhigsten Gewässer weltweit gilt, hatten auch wir schweren Seegang. Abgesehen davon, dass mir selbst speiübel war, habe ich mit vollen Händen Vomex-Kapseln und Scopolamin-Pflaster an verschiedenste Leute verteilt.
All den historischen Schiffen war jedoch gemein, dass geschlossenes Seeeis ein Weiterkommen effektiv verhindert hat, auch wenn es nicht besonders dick war. Heutzutage würden diese nicht einmal in die niedrigste Eisklasse der IACS-Polarklassen fallen. Das Maximum, das heutzutage möglich ist sind Eisdicken bis zu 4m, was aber nur die russischen Atomeisbrecher, wie z.B. die "Yamal" zustandebringen. Unser Schiff fiel in die Eisklasse ARC5, was ein Vorankommen in einer Eisdicke bis zu 1m möglich macht.
Aventurisch ist natürlich ziemlich fraglich welche Schiffe überhaupt geeignet wären. Bezogen auf die Phileasson-Saga: Unterstellt man den thorwalschen Drachenbooten eine ähnliche Konstruktion wie z.B. dem Tune-Schiff im Wikingerschiff-Museum in Oslo, dann besteht hier keine Eistauglichkeit.

Die Fram - Vermutlich 1912
3. Wo bitte ist hier der Ausgang?
Navigation im Eis ist etwas, wovor auch die Seeleute heutzutage gewaltigen Respekt haben- Trotz Eis-Radar, satellitengestützer Navigation, sehr genauem Kartenmaterial, aktueller Wetterberichte, Wissen über Eisdrift und zwei Eislotsen an Bord. Je näher wir dem Eis kamen, umso mehr merkte man dass die Nervosität und die Sicherheitsmaßnahmen auf der Brücke zunahmen. War die Minimalbesetzung dort auf offener See bei zwei Personen, so wurde sie im Eis auf vier Besatzungsmitglieder zu jeder Tages- und Nachtzeit erhöht.
Liest man die Berichte der Entdecker, insbesondere De Gerlache und Scott äußern sich da ziemlich ausführlich dazu, so hadern diese auch gewaltig mit der Navigation im Eis. Der Kompass ist aufgrund der Nähe zum magnetischen Pol, welcher ja nicht mit dem geographischen übereinstimmt und dazu auch nicht über die Jahre hinweg ortsstabil ist, nur sehr mäßig nützlich. Zuverlässiger war die Navigation anhand von Sternen- und Sonnenstand. Die Sterne hatten dabei den Nachteil, dass man ja im antarktischen Sommer sehr weit südlich unterwegs war: Das bedeutete lange Tage, eventuell sogar Mitternachtssonne wenn man weit genug südlich war. Mit dem Sonnenstand zu navigieren funktioniert relativ gut, ist aber ziemlich aufwendig und nahezu unmöglich wenn man aufgrund schlechten Wetters die Sonne schlecht oder gar nicht sieht. Und solche Tage hatten auch wir einige. Durch das Packeislabyrinth, welches sich beständig ändert hindurchzumanövrieren ist eine Kunst für sich - insbesondere wenn man auf die Segel fürs Vorwärtskommen angewiesen ist. Kommt noch Seegang und stärkerer Wind dazu, dann wird es so richtig unangenehm: Roald Amundsen schildert das ziemlich eindrücklich bei einem Bericht über die Belgica-Expedition.
Eselspinguine in der Nähe von Deception Island, Antarktis November 2022
Sollte Interesse bestehen, dass ich das hier weiter fortsetze, dann werde ich das natürlich gerne tun - Nächstes Thema wäre "Wie komme ich überhaupt an Land?"