Spoiler
Diese Weltsicht wird durch unantastbare Dogmen getragen, deren Wahrheit nicht in Frage gestellt wird:
• Alles in der Welt hat seinen Widerpart! Es herrscht ein strenger Dualismus, bereits durch die Hauptgötter Rur und Gror verkörpert, die einander nicht nur Zwillinge sind, sondern gleichzeitig männlich und weiblich. Die von Rur geschaffene Welt ist von der Natur ihres Schöpfers (oder ihrer Schöpferin) geprägt und besteht daher aus Paaren, Gegenpaaren und Paaren von Paaren. Was sich nicht in dieses duale Schema einordnen lässt, gilt als verdächtig, wenn nicht unheilbringend oder gar bruderlos und einzigartig.
• Leben und Tod befinden sich im ewigen Kreislauf der Wiedergeburt! Der maraskanische Glaube kennt keine jenseitigen Paradiese. Jede Seele wird nach ihrem Tod von Bruder Boron gereinigt und von Schwester Tsa mit einem neuen Körper bedacht, auf dass sie stets den Flug des Weltendiskus begleite, um am Ende Gror gegenüberzustehen und die Antworten auf die Vierundsechzig Fragen des Seins zu erhalten.
• Die Welt ist schön! Rur hat die Welt als Geschenk geschaffen, und da er vollkommen ist, ist auch sein Werk vollkommen. Der Sterbliche mag persönlich zu einer anderen Sicht kommen, doch dies liegt in seinem mangelnden Verständnis begründet – zumal die Schönheit der Welt nicht zwangsläufig auf den ersten Blick ersichtlich sein muss.
Auch wenn diese Dogmen unverrückbar sind, geben sie längst nicht alle Antworten – und erst recht ist der maraskanische Glaube keine einheitliche Lehre, sondern kennt eine unüberschaubare Zahl an Auslegungen, Strömungen und Sekten, die so vielfältig sind wie die maraskanische Kultur an sich, jedoch im Kern immer auf die genannten Dogmen zurückzuführen sind.
Die Zwillinge und die zwölf Geschwister
Die Hauptgötter – Rur als Schöpfer des Weltendiskus und Gror als Empfänger – sind weit entfernt und haben keinen Einfluss auf die Geschehnisse. Daher hat Rur zwölf Geschwister (nach Ansicht mancher Sekten auch nur acht oder gar sechzehn) geschaffen und mit der Wacht über die Schöpfung betraut. Die Gläubigen betrachten sie als eine Art ferner und viel weiserer Verwandter, die wegen ihrer alltäglichen, unendlichen Mühen höchste Achtung und Zuneigung verdienen. Sie werden – für Fremdijis respektlos anmutend, aber im Gegenteil gemeint – als ‘Bruder’ und ‘Schwester’ bezeichnet.
Auch wenn die Ansichten mancher Sekten weit auseinandergehen, ähneln die zwölf Geschwister den Zwölfgöttern des Festlandes, wenn es auch bemerkenswerte Abweichungen gibt. Bruder Praios ist kein Fürst, sondern seinen Geschwistern gleichgestellt. Er sorgt für einen geordneten Ablauf der Dinge und warmen Sonnenschein, ist aber eher ein väterlicher Berater als ein grimmiger und strafender Zeitgenosse. Er verbietet Magie nicht – schließlich ist sie Teil der Schöpfung! –, mag sie nur nicht besonders. Schwester Rondra liebt den Kampf, aber nicht nur gegen das Bruderlose oder in der Schlacht, sondern auch zwischen Bauer und Käfer, der die Ernte fressen will, oder zwischen der List eines Taschendiebes und der Wachsamkeit seines Opfers. Bruder Boron ist ein milder, wenn auch etwas trauriger Gefährte, der das Leben beendet und der Seele die Last der Erinnerung nimmt, die er an ihrer statt trägt (auch wenn es manchmal passiert, dass eine Seele sich an ein vergangenes Leben erinnert). Die ratgebende Schwester Hesinde ist klug, aber auch etwas schalkhaft und steht im Verdacht, die Rätsel Deres im Auftrage Rurs jedes Mal leicht zu wandeln, wenn ihre Lösung kurz bevorsteht. Da nicht nur Firunsbären, sondern auch der Winter auf Maraskan unbekannt sind, gilt Bruder Firun vor allem als Jäger und Wächter über den Kreislauf von Fressen und Gefressenwerden. Er wird mitunter als Weißer Parder dargestellt. Schwester Tsa, die Vielgestaltige und jüngste der Geschwister, schenkt den Seelen neues Leben und sorgt für eine abwechslungsreiche Form aller Dinge. Manchmal wird sie mit vier Fingern an der Hand dargestellt. Bruder Phex ist weniger Patron der Händler und Diebe als vielmehr der gnadenlose Richter der Nacht, der dort unbarmherzig für Gerechtigkeit sorgt, wo sein Bruder Praios am Tage Milde walten lässt. Als sein Tier gilt nicht der Fuchs, sondern der Mungo. Die friedliche Schwester Peraine ist die Hüterin der zahllosen Insektenscharen und aller Pflanzen, sorgt für Krankheiten ebenso wie für Heilmittel, gilt als sehr gelassen und umso fürchterlicher, wenn sie in Zorn gerät. Anstelle in der Form eines Storches verehrt man sie in manchen Gegenden in Gestalt der fleißigen Ameise, eines Käfers oder einer Kröte. Der beständige Bruder Ingerimm liebt alle Kunstfertigkeit, von der Schmiedekunst bis zum Termitenbau. Die schöne Schwester Rahja letztlich ist eine rauschhafte Mäzenin der Liebe und gilt mitunter als Erfinderin des Färbens. Künstler stellen ihr ein Pony zur Seite, viel häufiger aber einen schillernden Paradiesvogel oder eine Lotosblüte.
Der Zwillingsglauben kennt keine Götterkinder, denn warum sollten jene, die weder sterben noch wiedergeboren werden, den Weltendiskus mit ihren Nachkommen bevölkern? Götterkinder sind Missverständnisse der Fremdijis über das Wesen der Diener Rurs. Einige Sekten sehen in ihnen jedoch weitere Geschwister, aber auch heimtückische Larven des Bruderlosen, die die Seelen verderben sollen.
Sekten und Denkschulen
Rur liebt die Vielfalt – und so halten es die Maraskaner auch mit ihrem Glauben. Es gibt eine Unzahl an Denkschulen, die oft über den Einflussbereich eines Tempels nicht hinausreichen. Meist gewichten sie einen bestimmten Aspekt des Glaubens besonders oder haben sich der maraskanischen Zahlenmystik verschrieben, die auf der heiligen Zwei und ihren Potenzen fußt. Der Zahlenmystik entspringende Sekten beschäftigen sich vor allem mit der tatsächlichen Anzahl der Diener Rurs, da die Zahl Zwölf nicht durch ihren Glauben zu begründen ist. Manche Sekten spekulieren über ‘nicht offenbare Diener Rurs’ (so dass es in Wirklichkeit eigentlich sechzehn Geschwister sind), viel bedeutender sind jedoch jene, die vermuten, es gebe nur acht Geschwister, und daher zwei oder mehr Geschwister als Ausprägung einer Gottheit sehen.
Eine solche Denkschule sind die Richter, die ihren Stammsitz im Festumer Exilantenviertel haben und Praios und Phex als zwei Gesichter einer Gottheit sehen, die die Gerechtigkeit im Glanz des Tages wie im Schatten der Nacht fördert. Die berüchtigten Zaboroniten hingegen gingen von einer Identität Borons und Tsas aus, wandelten sich jedoch zu einer radikalen Mördergruppe, die jeden ermordeten, der ihrer Meinung nach zur Verminderung der Schönheit der Welt beitrug.
Das offensichtliche Problem an den Zaboroniten und der Richtersekte ist, dass sie beide, wenn sie je zwei Götter zusammendefinieren, auf elf Geschwister kommen – eine Zahl, die mit Sicherheit noch wesentlich schlechter sein muss als die zwölf, sie ist ja nicht einmal gerade! Also kommt es mir unstimmig vor, dass ihre Interpretation dort aufhören soll, schließlich will man entweder auf acht (dafür müssten noch drei weitere Geschwister verschmelzen oder gehen) oder sechzehn (dafür bräuchte man aber mehr und nicht weniger Geschwister) Götter kommen.
Desweiteren sollten die acht oder sechzehn Geschwister jeweils zur Hälfte männlich oder weiblich sein, schließlich braucht alles seinen Widerpart. Selbst wenn wir von weiteren Geschlechtern ausgehen (genauer gesagt Geschlechtsidentitäten, aber ich will hier nicht über Definitionskram diskutieren), was auf Maraskan ja durchaus möglich ist, dann sollte es auch davon jeweils eine gerade Anzahl geben, denn wäre es nicht so, wäre Rurs Schöpfung ja nicht perfekt, und das kann ja nicht sein.
Also, da es für acht oder gar sechzehn Götter im Pantheon eine riesige Auswahl an Kombinationsmöglichkeiten gibt, will ich hier erst einmal diskutieren, welche Götter aus maraskanischer Sicht plausibel zu vereinen, zu streichen oder hinzuzufügen sind.
An Göttervereinigungen haben wir offiziell im Hintergrund bereits Zaboron (Boron + Tsa) gesetzt, welche(r) den Kreislauf von Tod und Wiedergeburt leitet, und einen unbenannten Synkretismus (Praios + Phex), der den Richter von Tag und Nacht spielt. Was ließe sich sonst noch zusammenlegen?
Rondra und FIrun zum Beispiel gingen prima zusammen, wenn ich die maraskanische Interpretation der beiden lese überschneidet sich da fast alles. Ingerimm und Hesinde dagegen passen schon deutlich weniger, auch wenn sich entlang der Schöpfung und Kunstfertigkeit argumentieren ließe. Firun und Peraine könnte man als ewiges Vergehen und Neuentstehen der Natur zusammenlegen. Efferds und Rahjas Leidenschaft passen ebenfalls zusammen.
Was fallen euch so für passende Kombinationen ein?
Bei den Streichungen aus dem Kreise der Göttlichen Geschwister bieten sich durchaus einige Kandidaten an: Praios ist den Maraskanern aus der Priesterkaiserzeit und der mittelreichischen Besatzungszeit vielleicht noch suspekt, Rondra aufgrund des korrumpierten Ordens der Templer von Jergan ist auch eine starke Kandidatin. Firun besitzt ohne sein Eis deutlich weniger Bedeutung, Boron vielleicht auch, wo man seine Toten ohnehin nicht in einem Totenreich wähnt. Auch die Position von Phex als Nachtrichter (mutmaßlich noch aus den tulamidischen Konflikten mit den Echsen?) erscheint mir nicht als definitiv unentbehrlich.
Auf wen, meint ihr, könnten die Maraskaner noch verzichten aus ihrer Familie?
Bei den Kandidaten für's Hinzufügen, wenn man auf sechzehn göttliche Geschwister kommen will, sind die ersten natürlich die Halbgötter der Garethjas. Simia würde sich bestimmt gut machen, Aves ebenso. Levthan, Kor, Mada und Nandus sind Optionen, aber nicht so ideal. Mokoscha wäre nett, aber mangels Norbarden schwer zu erklären. Ifirn ergibt wenig Sinn, Marbo bei einem Volk mit Reinkarnationsglauben erst recht nicht. Swafnir, Ucuri und Xeledon sind eher unrealistische Kandidaten.
Fallen euch weitere ein?
Ich bin gespannt, was die Maraskan-Experten des Forums so davon halten.