Ich empfinde das Levthan-Vademecum als ziemlich gut gelungen. Es war als überarbeitete Darstellung des Gottes und Kultes dringend nötig und hat seine wichtigste Aufgabe gut erfüllt: Levthan von einer höchst problematischen "Altlast" des DSA-Kanons zu einer differenzierten, bereichernden Gottheit zu transformieren. Der Kult beinhaltet weiterhin alle derben, eigennützigen, wollüstigen Aspekte, die man erwarten würde und die auch einfach dazugehören. Aber es gibt eben neben den triebgesteuerten, saufenden (und f....) Hedonisten eben noch die zusätzliche Ebene der Priester, die sich aktiv damit beschäftigen, was sie für ihren Gott tun können und welche Rolle dieser Gott im Gefüge der Welt spielt. Das schenkt neue Facetten, die einen Levthan-Geweihten sogar für eine Heldengruppe spielbar machen, wenn man das möchte.
Diese Transformation in der Levthan-Darstellung ist glücklicherweise nicht nur ein reiner OT-Sinneswandel, der über die Zeit hinweg in der Redaktion stattgefunden haben mag, sondern ist auch plausibel spielweltlich verankert. Das finde ich besonders gut, damit es nicht einfach nur ein glattbügelnder Retcon der bisherigen Setzung ist, der in Aventurien aus dem Nichts kommt. Die Lösung hierfür ist: Levthan spendet plötzlich Karma (die Geweihten streben danach, herauszufinden, warum - bzw warum vorher nicht) und hat nun mehrere echte Priester in der Welt, die jeder ein Stück Einblick in sein Wesen gewonnen haben. Die Gottheit selbst wird also aktiv und zeigt mehr von sich als vorher. Durch geweihte Priester, die es vorher nicht gab, werden jetzt auch mehr Aspekte von Levthan erkundet, gelehrt und gelebt. Auch aventurisch wird er also differenzierter wahrgenommen als vorher.
Das Vademecum hatte natürlich die heikle Frage des Übergriffs auf Satuaria zu lösen. Dabei ist das Dilemma, dass man Dinge nicht einfach (retcon-mäßig) rausstreichen und damit die Gottesgeschichte komplett umschreiben möchte, aber dass an dieser Stelle einfach Veränderung her
musste. Die Lösung ist auch ganz gut, finde ich. Weil das (auch hier im Thread) mein Hauptkritikpunkt am bisherigen Levthan war, gehe ich darauf ein bisschen genauer ein:
Ein kleiner aber entscheidender Lore-Punkt wurde tatsächlich verändert:
Die Fessel, mit der Levthan Satuaria gebunden hat, stammte ja von Hesinde. Das ist auch weiterhin so, allerdings war ihr Zweck ursprünglich ein anderer: Levthan hat sich in seinem Übermut vorgenommen, mit dieser Fessel (nicht Satuaria sondern)
Belkelel zu unterwerfen. Damit hat er sich zu viel vorgenommen, ist gescheitert und wurde somit in den Niederhöllen von ihr gefangen gehalten, bis Rahja ihn gerettet hat. Hesinde hat ihm also kein Vergew***-Werkzeug geschenkt, sondern es sollte ein Beitrag zum Bekämpfen der Niederhöllen sein. Das macht die Geschichte schonmal plausibler, finde ich.
Die Geschichte über die problematische Interaktion mit Satuaria, die zu Levthans Verfluchung führte, ist nun in drei verschiedenen Ingame-Texten abgedruckt, von denen einer der bisher bekannte ist. (Satuaria spottete seiner, verweigerte sich ihm - und er nahm seine Levthansfessel
"und nahm sich die junge Unsterbliche mit Gewalt. Satuaria, von Liebe und Hass zugleich durchdrungen, verfluchte Levthan, auf dass seine Gestalt ebenso hässlich ward wie sein Inneres." - S. 17)
Anschließend findet durch den IT-Autor des Vademecums eine ausführliche Einordnung statt, wie das seiner Ansicht nach zu verstehen ist. Hier gibt es keine definitiven Antworten im Sinne einer definitiven OT-Ansage durch die Redaktion, wie es "wirklich war", aber das wäre ja auch eigenartig. (In dem Sinne ist natürlich auch die neue Geschichte zum Ursprung der Fessel natürlich keine "objektive Wahrheit".) Diese Vielschichtigkeit, mit der das im Vademecum betrachtet und verschiedene Sichten abgewogen werden, empfinde ich im Vergleich zu allem, was es bisher gab, als großen Gewinn.
Ausschnitte aus der Einordnung des Geweihten:
"Du wirst wiederkehrende Motive finden, zum Teil aber auch gegensätzliche Interpretationen. Mal sind beide ein Liebespaar, mal lässt Levthan Satuaria völlig kalt. Den Legenden ist gemein, dass ein Unglück geschehen ist zwischen den beiden, oft als Streit oder Kampf geschildert, und dass beide Entitäten sich dabei verletzt haben. Auch ich bin in meiner Jugend mit der Legende groß geworden, Levthan habe Satuaria vergewaltigt. Aber ich frage mich heute, ob solche Geschichten nicht mehr über uns Menschen aussagen als über die Götter. Können wir Sterbliche erfassen, was zwischen zwei Göttern geschehen ist, oder sind alle Versuche nur schale Schatten, mit denen wir Unerklärliches in eigene Worte fassen?"
- S. 18
"Ich sehe vor allem folgende Lehre für uns: Liebe und Triebhaftigkeit tragen beide ein großes zerstörerisches Potenzial in sich. Beides ist mit starken Emotionen verbunden, oft mit eigenen Ängsten und Verletzlichkeiten. Liebe und Trieb sind vielleicht jene Momente, in denen es uns allen am meisten an Selbstkontrolle fehlt. Hier sehe ich auch einen klaren Unterschied zur Rahjakirche, die fast schon naiv Liebe als etwas rein Positives predigt und glaubt, selbst in Momenten des größten Triebs sei Harmonie zu bewahren. Wer Levthan folgt, weiß es besser: Trieb, Wollust und Zügellosigkeit können befreien und glücklich machen, bergen in sich aber auch immer Versuchung und (selbst-)zerstörerischen Genuss."
- S. 19
Und insgesamt macht das Vademecum es gut, den Spagat zu schaffen zwischen egoistischem Hedonismus und der Abgrenzung zu Belkelel. Hier sind keine Details beschrieben, wo genau man die Grenze findet (keine klaren Regeln im Sinne von Consent), aber es ist dazu aufgerufen,
dass man die Grenze findet und nicht übertritt. (Darauf tanzen ist ok.
)
Ich fand die Gesamt-Einordnung von Levthan und seinem Nutzen für die Welt (den ich zugegebenermaßen nur schwer sehen konnte bislang) durch den Geweihten gut:
"Levthan ist ein Gott, der uns Menschen erlaubt, Mensch zu sein – mit all unseren Gefühlen, mit unserer Hässlichkeit, unseren Lastern, und auch dann, wenn wir am Rande der Gesellschaft stehen, gerade dann. Herr Levthan selbst hat gefrevelt, und dafür trägt er die Konsequenzen."
- S. 7