Die Lektüre des Abenteuers hat mich mit einer Mischung aus Enttäuschung und Entsetzen zurück gelassen. Meiner Meinung nach nutzt das Abenteuer die passabele bis gute Vorlage von Schleiertanz keinesfalls aus und kann in weiten Teilen hinsichtlich seines Plots als Machwerk aus dem Jahr 2014 nur als schlechter Scherz gewürdigt werden. Es folgen eine Reihe von Aspekte in einer mehr willkürlichen Ordnung.
A. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint mir für eine verständliche Kritik eine kurze Inhaltsangabe angezeigt: Dafür verweise ich auf
diesen Link.
B. I. Ein krasser Pluspunkt des Abenteuers sind die weiteren neuen Stadtkarten von Hannah Möllmann. Baburin, Anchopal, Fasar (auf der RatCon ausgelegt, aber nicht im Band, zum Grund auch später) und mit Einschränkungen auch das sicher schwieriger umzusetzende Palmyrabad sind als Stadtkarten einfach toll. Dabei geht es mir weniger um die Ästhetik, sondern die Details, Genauigkeit und Vielgestaltigkeit der Karten. Aranien ist jetzt wirklich toll mit Karten versorgt.
II. Ein weiterer Pluspunkt sind die Darstellungen der NSC, die vernünftig beschrieben und mit Wertekästen samt Anmerkungen zum Konfliktverhalten dargestellt sind. Dadurch werden etwa schöne Akzente gesetzt, was die Kampf- und Todesbereitschaft angeht.
III. Der Gesamtplot läuft in der zweiten Hälfte auf ein Ritual zu, dass dann in bzw. unter Keshal Taref stattfindet. Der genaue Inhalt dieses Rituals ist mir dabei ebenso unklar geblieben wie das Ziel, welches Dimiona und Rasulan damit verfolgen. Die Art und Weise mit der dieses Ritual in der Abenteuerhandlung vorbereitet wird, ist aber aus meiner Sicht inakzeptabel. Der Autor hat hier versucht, mehrere Mysterien auf irgendeine Weise in den Band einzubeziehen, was zu teilweise haarsträubenden Einzelplots geführt hat (dazu weiter unten).
Unabhängig davon wirken aber die Gegenstände, die es für dieses Ritual brauchen soll ("Blut von Rosendschinnen", ein Tanzgewand aus Anchopal und ein Schmuckstück aus Lanka) ziemlich willkürlich. Wie konnte bitte ein solches Ritual im Mittelpunkt stehen, ohne dass man den in Schleiertanz im Mittelpunkt stehenden Teil des Frevlergewands in den Plot eingebunden hat? Was hätte näher gelegen als auch diesen Gürtel zu einem (optionalen, fördernden) Teil des Rituals zu machen und damit auch inhaltlich eine Bedeutung des ersten Teils herzustellen.
IV. Insgesamt wirkt der gesamte Plot wie ein Stückwerk. Es geht los mit einer eher passiven Rolle der Helden, die Anschläge auf sie und andere verhindern wollen und schwenkt dann irgendwie zu diesem bevorstehenden Ritual um. Auf "irgendwie" liegt dabei die Betonung. Denn der Umschwung wirkt im Abenteuer völlig zufällig. Dieser Eindruck eines Stückwerks steht mutmaßlich damit im Zusammenhang, dass das Abenteuer ursprünglich wohl mit einer (sehr) anderen Konzeption gestartet ist.
Von der RatCon bin ich auf eine Workshop-Aufzeichnung aus dem November 2012 gestoßen, in der Alex Spohr und Marc Jeneßen (welcher auch Mitautor von Schleiertanz, aber jetzt nicht von Schleierfall war) ihre Ideen gemeinsam vorgestellt haben. Kurz zusammengefasst wurde dort angekündigt, dass die Helden einen Teil einer Todesliste finden sollten, auf der Personen stehen, die Dimiona umgebracht haben will. Je nach Wahl der Reihenfolge sollten sie dann einige Personen retten können, andere nicht. Auch sollte das Oberhaupt der Illaristen, der in Schleiertanz als wahnhafter Gegenspieler auftaucht, sich in Schleierfall auf die Seite der Helden stellen (eine Entwicklung, die ich freudig erwartet habe). Außerdem sollte ein Teil (von Marc Jeneßen geschrieben) in Fasar spielen und einen Versuch Araniens/Dimionas behandeln, die Stadt zu erobern. Daher wurde auch der Stadtplan von Fasar erstellt. Nichts davon findet sich aber im Abenteuer. Auf meiner Nachfrage auf der RatCon nach dem Ausscheiden von Marc Jeneßen aus dem Autorenteam hat Alex Spohr nur halbherzig geantwortet und dies mit Zeitverzug erklärt. Diesen Verzug habe er (Alex) nicht akzeptieren können, da er das AB zeitnah versprochen habe. Diese Änderungen am Plot lassen mich aber befürchten, dass hinter dem Autorenwechsel auch eine inhaltliche Änderung stand.
V. Nachgerade inakzeptabel sind die Teilszenarien "Die Katzenherrin von Ras'Lamasshu" ab Seite 46, "Die Rosenkönigin" ab Seite 86 und "Der Kult des Malmers" ab Seite 98.
1. Um den absurden Plot der "Katzenherrin" hier noch einmal kurz wiederzugeben: Rasulan hat von Dimiona eine Kette aus der Schatzkammer bekommen, um die Sphinx von Ras'Lamasshu zu fesseln. Damit dies auch funktioniert, wurde in diese Kette ein Span des Belkelel-Splitters verarbeitet. Aha. Dann ist Rasulan in Ras'Lamasshu und ruft plötzlich (warum?) aus Zorgan die hochschwangere Dimiona herbei, um eine Prophezeiung von der Sphinx zu bekommen. Diese bricht auf, um (hochschwanger!) zu Rasulan zu eilen. Allerdings hat Eleonoras intriganter Halbbruder Assad von Baburin von ihrem Aufbruch erfahren und will von Schergen (jetzt kommt es!) nur das ungeborene Kind, nicht aber die Mhaharani umgebracht wissen, weil (jetzt kommt es!) er (Assad) glaubt, dass die Geburt eines zweiten Kindes das Königshaus zu sehr festigen würde. HÄ?! Die Helden (die gerade von einer Begegnung mit einer in einem Marbo-Kloster versteckten Killergruppe kommen, in dem sie u.a. in einem vollautomatischen Nihilogravo-Aufzug mit Motoricus-Türen gefahren sind) entdecken die Mhaharani samt ihrem letzten Beschützer auf der Flucht vor den Schergen, die den Rest der (30-köpfigen?) Leibwache mal eben umgebracht haben. Sie beschützen die Mhaharani während ihren schwierigen Geburt in einem verlassenen Landhof (das ist ein tolle Szene!). Anschließend brechen die Helden (samt neugeborener Prinzessin; übrigens Rasulans Tochter) zur Sphinx auf, wo Rasulan die Sphinx bereits mit "der Kette" gefesselt hat und in ihre Träume eingedrungen ist. Das müssen die Helden (samt Dimiona?) dann ebenfalls tun. Allerdings hat Rasulan die Erinnerung der Sphinx bereits zerstört, so dass diese nur noch Erinnerungsfetzen in drei schönen Verszeilen erinnert, die die Helden glücklicherweise direkt zum nächsten Plotteil führen.
Das kann doch nicht ernst gemeint sein, oder? Lektoriert haben übrigens Sarah Maier und Kristina Pflugmaier.
2. Bei der "Rosenkönigin" geht es dann darum, dass Rasulan für das Ritual Blut von den Rosendschinnen in Zorgan abzapfen muss (Dschinnenblut? Bluten Eure Dschinne?). Die Helden kommen gleichzeitig mit ihm an und die Dschinne veranstalten dann selbstverständlich einen Wettkampf und möchten mehrere Gegenstände aus Zorgan herbeigeholt bekommen (gewinnt Rasulan, soll er dann das Blut bekommen), u.a. Wasser aus dem Garten des Spiegelpalastes. Das lässt dann den nächsten Sideplot aufklappen! Aber ich finde das einfach schrecklich. Die ganze Konstruktion erinnert mich an ein Computerspiel und die Logik der Dschinne (Wasser bitte aus dem Spiegelpalast!) ist haarsträubend. Sie ist offensichtlich nur gewählt, um weitere Handlungen folgen zu lassen (eine Helferin Dimionas vergiftet diese fast versehentlich und wird dann von Dimiona selbst beseitigt). Gut ist an diesem Teil nur das Vorgehen Rasulans, der sich nämlich den Aufgaben der Dschinne nicht unterwirft und sogleich einen Angriff auf die Dschinne plant, um sein Blut zu bekommen.
3. An dem Szenario in Lanka stört mich vor allem, dass (wie so oft in diesem Abenteuer; das gilt zB auch für die Enttarnung von Dalilah saba Emissa in Elburum) die Vertreibung des Malmers ein halber Zufall ist. Die Helden sind auf der Suche nach einem Gegenstand für das Ritual und mehr zufällig unterbrechen sie dabei ein Ritual, was den Malmer beleidigt abziehen lässt.
VI. Der geniale Swing der Schleier-Kampagne ist der Umstand, dass Dimiona in Eleonoras Haut steckt und damit an der Spitze des aranischen Staates steht. Der Moment dieser Entdeckung ist der entscheidende Plottwist der Kampagne. In meiner Vorstellung muss es sich dabei deshalb auch um ein gut vorbereitete und dramaturgisch umgesetzte Szene handeln; jedenfalls müsste dem Spielleiter Material in die Hand gegeben werden. Im Abenteuer geschieht dies wie folgt: "In der Königsstadt lädt Sybia die Helden [...] zu einer eiligst einberufenen Besprechung ein. [sic!] [...] Sie berichtet von den Geschehnissen und befürchtet das Schlimmste: Entweder ist Eleonora beherrscht, wurde erpresst ... oder sie ist Dimiona. Die letzte Vermutung spricht sie nur im Beisein der Helden aus, aber Arkos will sofort seiner Ehefrau hinterher, Sybia gibt ihnen Anweisung, falls sich letzterer Verdacht als wahr herausstellt, dass sie sie töten sollen, auch wenn sie wie Eleonora aussieht." (Zitat S. 118 f) Abgesehen von der sprachlichen Verirrung ist es also offenbar Intention des Abenteuers, dass die Helden diesen Plottwist beim Tee von einem NSC erfahren sollen statt ihn selber herauszufinden. Für mich schlicht inakzeptabel! Dabei ist weniger diese Linie des Abenteuers der Mangel, sondern das daraus folgende Fehlen irgendeiner Einbindung dieser Erkenntnis in den Plot.
VII. Zu einer Last wird für das Abenteuer außerdem, dass der Autor offenbar möchte, dass sein Werk auch für Heldengruppen spielbar ist, die Schleiertanz nicht gespielt haben. Für mich ist das eine Variabilität an der falschen Stelle. Es ist weder plausibel, dass andere Helden das für das Abenteuer nötige Vertrauen Sybias haben noch werden es 2% aller Heldengruppen so spielen! Wer spielt bitte Schleierfall ohne vorher Schleiertanz gespielt zu haben oder es mit anderen Helden gespielt zu haben. Zumal Schleiertanz selber alle zehn Seiten auf ein Ereignis aus Schleiertanz rekuriert. Und für das eine Prozent, welches Schleiertanz nicht spielen will, muss im Abenteuer kein Text und beim Autor keine Denkkraft verschwendet werden. Immer wieder tauchen im Abenteuer nämlich NSC auf, die den Helden Ereignisse aus Schleiertanz erzählen können sollen. Für 99% aller Spielgruppen ist das irrelevant.
VIII. Schließlich fühle ich mich auch durch die unsägliche Text- und Platzverschwendung in die Irre geführt.
1. Das Abenteuer hat nominell 173 Seiten, enthält aber vielfach doppelten Text. Zu Zorgan ist der Stadtkasten und der Beginn der Beschreibung dreister Weise doppelt abgedruckt (Seiten 25 und 88) statt einen Verweis zu verwenden. NSC-Werte und -Kästen sind in der Sache gut (das möchte ich ausdrücklich betonen!), aber Räuber, Ferkina und Superkiller jeweils (viertelseitig!) mehrfach dargestellt (S. 29, 34, 42 zu den Superkillern; S. 40, 50, 156 zu den Ferkina).
2. Die Stadtkarten sind ebenfalls doppelt (in sw und jeweils in gleicher Größe; vgl. 78 und 168 für Baburin, 35 und 172 für Palmyrabad, 62 und 164 für Elburum [auch schon in Schleiertanz abgelichtet], 90 und 166 für Zorgan und 112 und 170 für Anchopal), die Regionenkarte von Seite 19 ist dankenswerter Weise auch auf Seite 163 noch einmal abgedruckt.
3. Außerdem hat Alex Spohr es geschafft die vier Seiten 20-23 mit Zufallsbegegnungstabellen für die unterschiedlichen Landesteile Araniens zu füllen, die aber so viele Gemeinsamkeiten haben, dass man auch eine Tabelle auf einer DIN A4-Seite genügen lassen können.
4. Schließlich habe ich nunmehr die nach meiner Erinnerung fünfte Zeichnung von Kehlbara gesehen. Super, wir schaffen die sieben!
IX. Meinen letzten Kritikpunkt (an den ich mich jetzt erinnere) möchte ich durch ein Zitat meines besten Freundes einleiten: "Laut zu stöhnen, macht den Sex nicht besser. Das Stöhnen kommt schon, wenn der Sex gut ist."
Schon beim Workshop ist mir aufgefallen, dass Alex Spohr uns erzählt hat, wie toll der Bösewicht Rasulan ist und wie geschickt er vorgeht. Da habe ich mir überlegt, dass das einfach zu sagen und schwer umzusetzen ist. Genauso ist das mit ihm auch im Abenteuer. Angeblich (so die Beschreibung) ist er sehr klug und gewieft und verlässt sich nicht auf seine Untergebenen), aber im Abenteuer tut er genau das. Aus dramaturgischen Mitteln ist das oft auch gar nicht zu vermeiden (es soll ja nicht zu zehn Konfrontationen im gleichen Abenteuer mit ihm kommen), aber es nur zu sagen genügt eben nicht. An mehreren Stellen hätte Rasulan nach dem geschriebenen Plot recht einfach die Möglichkeit, die Helden zu vernichten (zB während sie noch in der Traumwelt der Sphinx sind) oder seine Spuren zu kappen (Khelbara direkt ausschalten), aber er tut es nicht. Also: Uns nur zuzustöhnen, wie pornös ein NSC ist, macht ihn nicht schärfer. Er muss schon von sich aus ein geiler Typ sein, damit sich das Stöhnen lohnt.
C. Alles in allem ist das Abenteuer eine Kreation, die auf einer für mich guten Grundlage steht, nämlich schönen NSCs. Ich weiß nicht, was dann bei der mit diesen spielenden Handlungskonzeption schief gegangen ist. Ost der Plot mehrfach umgestoßen worden? Hat der Autor mit DSA5ß zu viel zu tun und keine Zeit gehabt? Dafür sprechen für mich sowohl die Vortäuschung von 173 Seiten (auch nominell eine Seite weniger als bei Schleiertanz; auf dem Workshop von 2012 hatte Marc Jenneßen noch von einem Umfang wie bei Bahamuths Ruf [205 Seiten] gesprochen) als auch der Eindruck eines Stückwerks, weil die einzelnen Teil nur oberflächlich zusammengefügt oder die Handlungen hanebüchen konstruiert sind.
D. Ich bin wirklich froh, mit Schleierfall noch nicht begonnen zu haben. Das gibt mir die Gelegenheit, beide Teile zu einer harmonischeren Konstruktion zusammenzufügen, bei der ein gemeinsame Plot im Hintergrund steht. Mir schwebt im Moment vor, dass Dimiona stärker zum Objekt und Opfer Rasulans wird (sie war ohnehin immer eine labile Figur), der sie für eine große Beschwörung (vlt. gar von Belkelel selbst
) vorschieben und dann auch opfern will. Dabei werden dann nicht nur der Splitter, sondern auch der Gürtel und andere mächtige Artefakte (und kein "Dschinenblut" oder der Kopfschmuck eines beliebigen unbekannten NSC wie im Lanka-Plot des AB) eine Rolle spieln. Aber das sind alles nur aus dem Entsetzen der Lektüre dieses Buches geborene Ideen.
E. Am Ende steht die Frage: Kann man aufgrund der guten NSCs und der Karten noch einen zweiten Punkt geben?