Ungelesener Beitrag
von Anyamir » 08.03.2009 10:12
Das Abenteuer ist eine durchwachsene Angelegenheit.
Der Einstieg ist unbefriedigend. Die Helden werden mit der Meisterkeule in eine unterlegene Situation gebracht, aus der er einen einzigen Weg gibt: ein merkwürdiges Ansinnen des Plotbetreibers (eines Praiosgeweihten), dem die Helden nachkommen müssen. Für Spieler eher frustrierend und wohl auch nur bei ganz speziellen Gruppenzusammensetzungen möglich (gewisses Maß an Obrigkeitshörigkeit, eher geringe Eigeninitiative, am besten alle aus dem Kulturkreis Nordmarken). Neugierde, Motivation und Spielfluss kommen so kaum zustande.
Diese Einstiegsszene lässt sich aber immerhin in einem anderen Kontext verwenden: Falls die Helden tatsächlich einmal gesetzlich über die Stränge geschlagen haben und einen kleinen Dämpfer vonseiten der Obrigkeit brauchen (um die Spielwelt glaubwürdig zu halten). Aber wegen eines den Spielern (!) unbekannten Gesetzes arretiert zu werden (so ist’s nämlich im Abenteuer) hat einen schalen Beigeschmack.
Dann geht‘s „mehrere Wochen lang“ durch die Nordmarken von Elenvina nach Gratenfels, genauer nach Espenquell, welches leider nur vage lokalisiert wurde und auf der abgedruckten Karte fehlt. Die (etwas ungenaue) lange Zeitdauer ergibt erzählerisch den Sinn, die Beziehung zwischen Praiosgeweihtem und Helden zu profilieren. Diese ist nämlich das tragende Element der Handlung und vom Ansatz her ganz nett. Allerdings entwickeln die Beziehungs-Tipps wenig Tiefe und Eigendynamik. Außerdem braucht es dafür, wie bereits angesprochen, eine eher devote Gruppe. Trotzdem könnte ich mir dieses Plotelement als recht reizvoll vorstellen (wenn es nicht unter so ungünstigen Umständen eingeleitet worden wäre, s.o.). Die mehrwöchige Reise ist aber ansonsten sehr eintönig. Ich würde das Ziel der Reise näher nach Elenvina verlegen, dann verschenkt man auch nicht so viel interessante Lokationen und die Beziehung zum Praiosgeweihten wird nicht überstrapaziert.
Angekommen in Espenquell suchen die Helden im Wald nach der Kapelle Lechminsglanz mittels Orientierungsproben. Sehr originell... Schöner wäre hier eine Art Schnitzeljagd aus alten Märchen, Aufzeichnungen, Häuserschmuckelementen usw., bei der die Spieler durch Nachdenken den ungefähren Ort erschließen könnten.
In Espenquell läuft aber noch ein paralleler Handlungsstrang: Im Dorf herrscht eine gereizte, ja geradezu rachsüchtige Stimmung, die ganz traviafern auch vor den Gästen nicht haltmacht. Besonders deutlich wird dies im Kontrast zur sehr zuvorkommenden oder gar unterwürfigen Behandlung des Praiosgeweihten in den Dörfern während der Reise. Irgendetwas stimmt also nicht in Espenquell. Diese Ausgangsdisposition ermöglicht sicherlich schönes Rollenspiel. Die Lösung des Problems ist aber eher lau: Wegen irgendeiner Jahrhunderte zurückliegenden Tat von Rondrianern geht von der entweihten Lechminsglanzkapelle ein diffuser Blakharazeinfluss aus, der sich auf das Sozialverhalten der Dorfbewohner niederschlägt (mithin eine ziemlich große Reichweite hat…). Stattdessen wäre eine weniger kosmologische Ursache – unschön ist eh, dass der Erzdämon ohne irgendeinen derischen Anker aktiv wird – eventuell tauglicher: generelle kulturelle Disposition Espenquells, kollektives in unmenschliches Verhalten umgeschlagenes schlechtes Gewissen wegen einer irgendwann begangenen Untat (vielleicht irgendwie mit der Kapelle in Bezug setzen) oder zur Not Hexenfluch. Zwar ist es angenehm, dass einmal kein Artefakt oder zu verhinderndes Ritual schuld ist, unbefriedigend bleibt das Szenario trotzdem.
Man muss davon ausgehen, dass dieser Einfluss seit ziemlich langer Zeit auf dem Dorf lastet. Das hat aber keinerlei Auswirkungen auf die Außen- und Innensicht Espenquells. Es müsste bei den Nachbarorten doch verrufen sein. Außerdem dürfte den Bewohnern des verfluchten Dorfs nach und nach auffallen, dass etwas nicht stimmt. Warum sie im Laufe von Jahrhunderten den Ort nicht irgendwann aufgegeben haben, wird nicht so leicht ersichtlich.
Aber halt: Der Einfluss wird erst seit einiger Zeit sichtbar, wie es versteckt in einer Begegnungsbeschreibung heißt. Warum, wird nicht aufgeführt. Dagegen suggeriert eine Personenbeschreibung im Anhang wieder etwas anderes: Der NSC unterlag den Einflüsterungen Blakharaz‘ schon vor vielen Jahren. Andererseits gibt die als Handout vorgesehene Dorfchronik im Anhang wiederum überhaupt keine Auskunft über eine Verhaltensänderung (eben auch nicht implizit). Alles also sehr unausgegoren.
Ein Finale muss dann auch noch her: Der Praiosgeweihte entschleicht seinen Aufpassern (warum befiehlt er den Helden eigentlich plötzlich nicht mehr, dass sie ihm folgen sollen?) und möchte sich bei einem ehemaligen Rondrageweihten, der im Wald haust, für die Jahrhunderte zurückliegende Tat von anderen Rondrageweihten (s.o.) rächen. Der Praiot ist also ebenfalls von der unheiligen Kapelle beeinflusst. Die Helden kommen ihm aber auf die Schliche und verhindern Schlimmeres. Endlich kann die Kapelle neu eingeweiht werden und gut is.
Fazit: Ein schwacher Plot, uninteressante Lokationen, bemühte Atmosphäre. Das weckt beim Meister kaum Lust. Die Spieler werden vom Einstieg an gegängelt und haben insgesamt nicht sonderlich viele produktive Handlungsmöglichkeiten. Reaktion statt Aktion. Immerhin eignet sich das Abenteuer aber zum Ausschlachten bzw. hat brauchbare Stimmungselemente zu bieten. Deshalb 2 Punkte.