Über die Darstellung der Grolme und die darin deutlich werdenden antisemitischen Stereotype wurde das Wesentliche gesagt. Glumboschs Befund ist zwar relativierbar, aber kaum zu widerlegen. Es bleibt die Frage, welche sinnvollen Schlussfolgerungen gezogen werden können.
Ich greife diesen Beitrag bzw. Abschnitt daraus auf, weil darin ein wichtiges Problem angedeutet wird, das ich weiter ausführen und mit dem hier diskutierten verknüpfen will.
Aryador hat geschrieben: ↑18.06.2020 13:04
Tatsächlich halte auch ich Grolme für eine eher problematische Spezies, weil sie, wie hier schon mehrfach erwähnt, eigentlich nur für Bösewichte taugen. Fantasy und Heldengeschichten brauchen Bösewichte, aber ich halte es für höchst problematisch, wenn man Bösewichte schon am Aussehen erkennt, und alle Vertreter eines Volkes/Kultur/Rasse automatisch die Bösewichte sind, vielleicht dann noch mit den sehr vereinzelten, besonderen Ausnahmen.
Man kann auch sagen, dass Fantasy - nicht jedes Beispiel, aber dennoch ist es durchaus genretypisch - das absolute Böse nutzt, eine Partei, die es wert ist, mit allen Mitteln bekämpft und vernichtet zu werden. Das entspricht einem manichäischen Denken jenseits aller Politik (hier zu verstehen als Prozess und Zustand des verbindlichen Umgangs miteinander), die zwar im schlechtesten Falle auch nur Feinde kennt, aber immerhin solche, mit denen man irgendwie auskommen muss. Ein politischer Konflikt, selbst ein Krieg, weist stets die - wie auch immer gestaltete - Einigung (den Friedensschluss) als Fluchtpunkt aus. Die Verabsolutierung von Menschen oder anthropomorphisierter Wesen zu Bösewichten ist per se unmenschlich.
Allerdings gibt es einen Bedarf nach Schwarz-weiß-Malerei, der mit einem anderen Phänomen zusammenhängt, das im obigen Zitat angesprochen wird: der Bedarf an heroischen Narrativen, mit denen man sich identifizieren bzw. - es ist nicht unbedingt einmal das - die man in einer bestimmten Weise imaginieren kann. Dass man an ihnen zu partizipieren vermag, war schon immer eine Illusion (die mitunter aber außerordentlich handlungsleitend wirkte). Mit Freud gesprochen: "Wenn ich am Ende eines Romankapitels den Helden bewusstlos, aus schweren Wunden blutend verlassen habe, so bin ich sicher, ihn zu Beginn des nächsten in sorgsamer Pflege und auf dem Wege der Herstellung zu finden [...], an diesem verräterischen Merkmal der Unverletztlichkeit erkennt man ohne Mühe - Seine Majestät das Ich, den Helden aller Tagträume wie aller Romane." ("Der Dichter und das Phantasieren"). Anders gesagt: Die unbegreifliche Überkomplexität der Wirklichkeit, die sich in der modernen Welt umso drückender erfahren lässt, schafft ein Bedürfnis nach wenigstens vorstellbarer Sicherheit und Simplizität, welche sich z.B. in den klaren Strukturen von Gut und Böse widerspiegeln - wie auch in jeder Vorstellung von schwarz und weiß, wie ich durchaus hintersinnig bemerken möchte. Was Freud für Romane beschreibt, gilt selbstredend auch für P&P oder Filme und es galt zuvor für Mythen, Sagen, Märchen: Es ist ein anthropologisches Phänomen, das nicht diejenigen Geschichten umfasst, die sich Menschen von der Welt erzählen, um sie zu begreifen (das wären partizipative Narrative), sondern sich um die Geschichten dreht, in denen sich Menschen von Welten erzählen, die sie begreifen können (imaginative Narrative). Das soll nicht heißen, dass beide nicht auch zusammenfließen und -wirken können. Fiktive Erzählungen verarbeiten und spiegeln natürlich reale Verhältnisse. Aber sie verändern sie in anderem Maße als Narrative einer Wirklichkeit. Und für DSA (oder speziell: die Darstellung von Grolmen und Norbarden) wäre zu fragen, ob das durch die Imaginationsangebote in einer bedenklichen Weise geschieht, denn freilich wird nicht jede Phantasie realiter in adäquates gesellschaftliches oder politisches Verhalten umgemünzt. Und es geht auch ganz gewiss nicht darum, dass, wer sich in DSA gerne als Ritter imaginiert, irgendein seltsames Verhältnis zu Autorität hätte (darüber mögen Psychoanalytiker spekulieren; der Fokus scheint hier eher soziologisch und zwar in der Gestalt irgendeiner Kollektivpsyche).
Um den Unterschied zwischen realitätsbezogenen/partizipativen und imaginativen Narrativen zu veranschaulichen: Ein Artikel aus der
Wucherpille, einem antisemtischen Wochenblatt aus dem Kaiserreich (das aus heutiger Sicht fast Realsatire darstellt), greift ein partizipatives Narrativ auf, indem es Behauptungen von Juden u.a. in suggestive Bilder und Texte einbettet, die den Lesern Geschichten von einer Wirklichkeit erzählen sollten, die von manichäische Strukturen - die guten Deutschen vs. die bösen Juden - geprägt ist. "Der Herr der Ringe" erzählt uns von einer fiktiven Welt, in der ein personifiziertes Böses Dienerkreaturen erschafft, die sich mit ihm in ebenso manichäische Strukturen fügen - die bösen Orks vs. die guten Menschen, Elfen, Zwerge.
Dafür spielt es zunächst einmal keine große Rolle, für wen die Orks als Platzhalter dienen: Das kann multiperspektivisch gedacht und beliebig gedreht werden, sodass eigentlich jeder die Rolle der Orks aus einer bestimmten Sichtweise einnehmen kann, der irgendwie mit einer invasiven Macht (Diener Saurons, die Mittelerde erobern wollen), mit einer unzivilisierten Horde (Orks strahlen nicht gerade Kultur oder Zivilisation aus, sondern zerstören diese) oder mit welcher Schlechtigkeit auch immer identifiziert werden kann. Wer immer eingesetzt werden kann, wird es in der Rolle eines Bösen, das es (einzig) wert ist vernichtet zu werden. Das Problem ist also die verdammende Schablone, die in ihrer flexiblen Anlage vielfältige Formen zulässt.
Dennoch benötigt das fiktive Werk den Willen, ein ganz bestimmtes Feindbild einzusetzen, das folglich schon vorgeprägt sein muss. Es wirkt mittelbarer, dafür aber mitunter subtiler. Dazu ein Exkurs. Filme wie "300" oder "Black Panther" - die jeweils eine manichäische Figuration aufweisen - zeigen, wie diese Leerstellen auch in aktuellen Werken funktionieren: Rechte (zu verstehen als eine politische Gesinnung, die tendenziell oder weitgehend anti-egalitäre Grundsätze verfolgt) lesen ein Verteidigungsnarrativ einer sich vor äußeren, schädlichen Einflüssen schützenden höheren Kultur bzw. eines zivilisatorisch fortgeschritteneren Volkes, das zudem traditionelle Werte vertritt und einem zur Dekadenz neigenden Feind begegnet (inkl. Feinden aus den eigenen Reihen, die eine Öffnung und Vermischung erstreben, was jeweils als Verrat gedeutet wird). Das
kann man in diese Filme hineinlesen, das sind nicht unplausible Deutungen. Gerade "Black Panther" wird andererseits von Vertretern der identitätspolitischen Linken für seinen Fokus auf afrikanischen Helden als Fürsprecher von Diversität gefeiert. Auch so
kann man den Film verstehen.
Ich will gar nicht weiter darauf eingehen, wie Vertreter der Neuen Rechten diese u.a. Filme sehr bewusst instrumentalisieren, um für ihre Gesinnung zu werben. Die Frage für diesen Thread ist doch, ob das für DSA in auch nur annähernd ähnlicher Weise gilt, speziell: für die Darstellung von Grolmen oder Norbarden. Und da habe ich erhebliche Zweifel; konkret: daran, dass sich DSA für irgendeine rechte, rassistische oder antisemitische Denkweise oder Politik sinnvoll instrumentalisieren ließe.
Zunächst noch einmal zum Zusammenhang von Manichäismus und menschenfeindlichen Einstellungen (mit Schwerpunkt: Antisemitismus):
Menschenfeindliche Äußerungen müssen nicht immer so völlig schwarz-weiß gerahmt sein. Aber sie sind es mindestens tendenziell, weil sie stets mit Wertungen einhergehen. Und es ist ein Kernmerkmal des Antisemitismus, der stets rassistisch motiviert ist: Der Rassentheorie gemäß galten "Semiten", die "Ahnen Sems", des Vaters von Abraham, als die minderwertigste aller Rassen, weil deren Wert sich nach der Stärke der Stämme und Nationen bemaß, die sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatten. (Übersteigerter) Nationalismus und eine schwere Missdeutung der Evolutionstheorie kamen im Sozialdarwinismus zusammen, dessen Kinder - Rassismus und Antisemitismus - Zwillinge aus dem gleichen ideologischen Ei sind. Davon zunächst zu scheiden ist der Antijudaismus, also viel ältere Vorbehalte, die sich gegen Juden als diffus Andersartige richteten - v.a. natürlich hinsichtlich der Religion, aber auch Kultur und Sprache. Der Vorbehalt gegen (Geld-)Handel ist noch älter und dezidiert christlich[/katholisch]-kulturell motiviert: als Gegensatz zwischen ("ehrlicher") produktiver, körperlicher Arbeit und ("unehrlicher") Geschäftigkeit.
Nun zu den manichäischen Strukturen in DSA (am Beispiel der Grolme):
Schwarz-weiß-Zeichnungen in fiktiven Werken sind - wie gezeigt - geeignet als Folie, um menschenfeindliche Aussagen zu unterstützen. Manichäische Strukturen gibt es in DSA allerdings kaum, auch wenn Abenteuer sich im Groben als Heldengeschichte mit simplen Grundmustern ausnehmen. Schurken sind dabei jedoch Einzeltäter, Verführte, Verblendete, aber eben keine Archetypen. Es gibt überhaupt wenig Absolutes und viel Relatives. Schon gar nicht nehmen Grolme die Rolle eines reinen Antagonisten ein. Traten sie überhaupt mal als solche auf? Ich erinnere mich nur an "Das vergessene Volk", wo sie als NSC im Wesentlichen als neutrale Auftraggeber, u.U. als Helfer der SC fungierten.
Die übersteigerte Gier greift jene übersteigerten Vorbehalte "ehrlicher Arbeit" gegen den "Wucher der Geschäftigkeit" auf, die sich dann antijudaistisch manifestierten und als Rasseklischee antisemitisch in Körper und Blut zur Unabänderlichkeit verewigt wurden. Allerdings ist dies nur lose mit dem ansonsten sehr deutlich definierten antisemitischen Konzept "des Juden" verbunden. Grolme sind eine eigene Gattung (wo der irdische auf den Menschen angewandte Rassebegriff verfehlt ist, bleibt der DSA4-Rassebegriff eher konfus), klar anthropomorphisierte Wesen, aber ihnen wird nicht rundheraus ein Existenzrecht abgesprochen; selbst wenn sie nicht in ähnlicher Weise wie Elfen oder Zwerge in menschliche Gesellschaften integriert sind. Das funktionierende Nebeneinander verschiedener Völker/Gattungen gehört irgendwo auch zu den Utopien des Fantasy-Genres.
Grolme sind seit DDZ eine spielbare Spezies. Damit gewönnen sie durch den ermöglichten Perspektivwechsel an Ambivalenz, selbst wenn sie zuvor antagonistisch gedacht worden wären.
Man sollte auch darauf achten, dass nicht jede kritische Darstellung von (Geld-)Händlern sogleich auf antijudaistische, antisemitistische Vorbehalte zurückgeführt wird. Zugespitzt gesagt: Mit Kritik am - aktuellen - Finanzwesen ist nicht gleich die Rothschild-Verschwörung behauptet. Weniger zugespitzt: Die Kritik am gegenwärtigen Finanzkapitalismus darf sich aus meiner Sicht ohne jede antisemitische Verknüpfung in schurkischen Figuren oder deren Fantasy-Äquivalenten (und genretypisch können das eben eigene Völker sein) manifestieren. Gordon Gecko oder die fiktionale Version von Jordan Belfort ("The Wolf of Wall Street") würde auch niemand sinnvoll mit antisemitischen Vorurteilen verbinden können. An mindestens unglücklichen Darstellungen von Grolmen in ihrer Gesamtheit ändert das natürlich wenig.
Apropos bildliche Darstellung von Grolmen: Ich fand die fast durchweg misslungen. Nur eines nutze ich, wenn ich Grolme vorstelle, das aus DDZ/OiC 8 ist: Die klar kindliche Gestalt wird durch das faltige und - nach unseren Vorstellung - unansehnliche Gesicht konterkariert. Trotz der humanoiden Gestalt hat die Haarlosigkeit etwas Absonderliches. Es ist kein Hutzelmännchen oder die Karikatur eines Menschen, sondern ein deutlich anderes (aber dennoch) humanoides Wesen, das glaubhaft seine körperlichen Defizite auf anderen Wegen - denen von Magie und Verschlagenheit - wettmachen muss.
Was ist nun mit den Norbarden?
Ich habe nun nicht jede Quelle dazu studiert, bislang gab es keinen passenden Schwerpunkt in irgendeiner Kampagne, die ich geleitet habe. Natürlich drängen sich Parallelen zum orthodoxen "östlichen" Judentum auf. Aber geschieht dies in einer vorführenden, in bestimmter Art wertenden Weise oder wird das Muster einer unterdrückten Minderheit mit religiösen sowie sprachlich-kulturellen Eigenheiten aufgegriffen und - so plausibel das eben in Aventurien im Allgemeinen geschieht - organisch in seine Umgebung eingebunden?
Der Vorbehalt gegen Geldhandel ist in DSA zunächst einmal weniger grundlegend als im christlich-(hoch-)mittelalterlichen Europa. Er geht eigentlich ausschließlich von rückständigen Adligen aus, die - so die Darstellung - davon weniger profitieren, als von der unmittelbaren auf Naturalien beruhenden Subsistenzwirtschaft. Diese Gruppe ist allerdings im Bornland - geradezu schicksalhaft - bestimmend, jedenfalls in den ländlichen Gebieten. Ihre Einstellung strahlt sendungsbewusst auf die (ländliche) Bevölkerung aus und ergibt zusammen mit der Andersartigkeit der Norbarden - wo selbst der ansonsten recht offene Aventurier gewisse Vorbehalte pflegt - ein diskriminierendes Amalgam, das aber meines Wissens nie den Grad irdisch-vormoderner Vorbehalte gegenüber jüdischer Bevölkerung seitens der christlichen Mehrheit erreicht hat. Dafür ist Aventurien schlicht zu liberal; selbst das Bornland.
Der Verweis gerade auf das eher orthodoxe "östliche" Judentum ist nochmals hervorzuheben. Denn die auch zahlenmäßig stärker vertretenen jüdischen Bevölkerungsteile konnten sich in Osteuropa u.a. aufgrund der geringeren administrativen Durchdringung (was z.T. bis ins 20. Jh. anhielt) ihre Eigenheiten bewahren. Sie waren gerade nicht zu den schmerzlichen Assimilationsprozessen gezwungen, die "westliche" Juden durchliefen (und die ihnen angesichts des Rassismus-Narrativs seit dem späten 19. Jh. nichts nutzte). Es ist also eher positiv hervorzuheben, dass Norbarden in DSA ebenfalls ihre kulturellen Eigenheiten wahren und pflegen können.
Vom pauschalen Vorwurf der kulturellen Aneignung halte ich wenig. Meines Erachtens sollte der Blick immer vom Ergebnis, vom Produkt, vom Kunstwerk bzw. Kulturgut ausgehen (und nicht vom Künstler, was eine Betrachtung unter dem Lemma "kulturelle Aneignung" automatisch tut, indem das Werk so von der Kultur des Schaffenden gedacht wird). Ansonsten könnte man keinerlei Würdigung finden für Filme wie "Django Unchained", wo ein "weißer" Regisseur auf äußerst geschickte Weise die Macht- und Herrschaftsverhältnisse in der Sklavenhalter-Kultur der amerikanischen Südstaaten im 19. Jh. darstellt (und in der Darstellung verhandeln lässt). Die Verengung einer Werkbetrachtung auf "kulturelle Aneignung" - als vorweggenommener Vorwurf - ist zudem essentialistisch gedacht, indem Kulturen als abgegrenzte Gruppen gedacht werden, über die hinaus es keine universellen menschlichen Werte geben kann, die sie verbinden und die selbstredend in einem Kulturgut Ausdruck erfahren können, in welchem Menschen andere Menschen darstellen.
Dass nun die Kulturentwürfe in DSA ursprünglich als Klamauk und Unterhaltungsvehikel nach dem - zitierten - Muster "Mittelreich als Deutschland und die beliebtesten Urlausbziele der Deutschen darum" gedacht waren, tut dem keinen Abbruch, weil die DSA-Welt sich seitdem entwickelt hat und das Ergebnis - bei allen Unstimmigkeiten und Dysfunktionalitäten, die sich vielfach im Forum belegt finden - doch darüber hinausgeht. Offenbar bietet die DSA-Welt ein Imaginationspotential, das nicht primär (und vielleicht noch nicht einmal nachgeordnet) antiegalitäre Geister bindet oder sich zur Verfestigung diskriminierender Denkweisen eignet.
Wie schon gesagt: Die Analyse von Stereotypen, die sich in DSA finden, hat ihren Nutzen und die hier geäußerte Kritik ihren Wert. Der liegt aus meiner Sicht in der Diagnostik unserer Gegenwart (oder eben der Vergangenheit von vor 30 Jahren), insofern Vorstellungen der Realität fiktionalisiert und darin in einer bestimmten Weise sichtbar werden. Darüber hinaus jedoch erkenne ich kein wesentliches Potential zu irgendeiner propagandistischen Entfaltung (die als Vorwurf jedoch mindestens implizit deutlich wurde).