Mikal Isleifson hat geschrieben: ↑27.03.2021 09:57
Dadurch, dass die Regeln des Mirakels Ähnlichkeiten mit einem Kampfzauber aufweisen, taugt es quasi gar nicht mehr für die ursprüngliche Intention (Harmonie im Streit verbreiten - toll, jetzt sind für 2 Minuten mal 5 von 8 friedlich...) und ist damit eher nutzlos - selbst auf hohen Stufen.
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Jetzt bleibt aber dennoch die Frage, was soll man mit diesem Mirakel noch?!
Das war ja mein ursprünglicher Kritikpunkt. Wobei ich auch durchaus prinzipiell Spaß darin habe, Verwendungsmöglichkeiten zu finden für Magie, Liturgien, etc., die auf den ersten Blick wenig Nutzen haben. Das funktioniert meist ganz gut, wenn man sich vor Augen führt, dass es trotzdem noch übernatürliche Kräfte sind, die man sich im Alltag manchmal wünschen würde, die man da so ins Feld führen kann.
Ich glaube übrigens nach wie vor, dass die Liturgie von regeltechnischer Redaktionsseite durchaus (auch) konzipiert wurde, um im Kampf als Unterstützung zu dienen, dass es Gruppen gibt, die das gerne so spielen, und ich finde da nach wie vor auch nichts Verwerfliches dran, und bleibe auch bei meinem Beispiel von vorhin: Wenn die reisende Gruppe an Helden im Wald angegriffen wird und der Thorwaler zur Axt greift, dann wird der Geweihte einen der Angreifer einen Rauschzustand schenken, der es ihm unmöglich macht, weiter am Kampf teilzunehmen. Der Thorwaler wird, kriegerisch geschult (oder weil er schon länger mit dem Geweihten herumreist), verstehen, dass von dieser Person aktuell keine Gefahr droht, sich dem nächsten Gegner zuwenden, und wenn am nach zwei Minuten alle Gegner vertrieben oder erschlagen sind, erwacht der Räuber aus seinem Rausch, der Geweihte sagt ihm: "Du hast die Gnade und die Liebe der Lieblichen Herrin erfahren. Gehe, und berichte, was du erlebt hast. Ich habe dir das Leben geschenkt und deine frevelhaften Gedanken von Mord für einige Augenblicke aus deinem Kopf vertrieben. Sonst lägst du hier erschlagen am Wegesrand, wie deine Kumpanen. Die Herrin segne dich - und jetzt mach, dass du fortkommst."
Du kannst jetzt argumentieren, dass ein Rahja-Geweihter sich dem Thorwaler in die Axt werfen müsste, weil er keine Gewalt duldet, ich halte das aber ehrlich gesagt für sogar eine leicht übertriebene Form von Geweihten. Geweihte in Aventurien leben in einer Welt, in der Kampf, Gewalt und Krieg existieren und alltäglich sind, viel alltäglicher, als für jeden von uns. Sich mit der Realität immer auch zu arrangieren, abzukämpfen, vielleicht zu hadern, und seine Werte ständig neu unter Prüfung gestellt zu sehen, ist Teil vieler religiöser Anhänger, auch wenn sie öffentlich fest im Glauben stehen mögen. Davon abgesehen wirken mir viele Geweihte im Rollenspiel oft zu sehr wie Archetypen, fast schon wie Karikaturen bisweilen. Man schaue sich mal zehn katholische Priester an, vielleicht auch noch aus unterschiedlichen Ländern weltweit, die Unterschiede sind enorm, auch und gerade wie diese Menschen Werte, Gebote und Religion interpretieren. (Das gleiche gilt auch für Buddhisten, etc.). Viele werden sich auf einen Werte-Kern einigen können, aber wie diese Werte im Alltag ausgelegt werden, kann sehr unterschiedlich sein. Und wir reden beim Katholizismus sogar von einer Kirche, die vergleichsweise streng und hierarchisch organisiert ist.
Natürlich haben wir hier nicht den Zusatzeffekt, dass eine Gottheit quasi "direkt" bei Frevel Karmaenergie entziehen kann. Da sind wir aber dann wieder beim Unterschied, ob es für einen Geweihten auf Erde und einen Geweihten auf Dere einen Unterschied macht, ob er an seine Gottheit glaubt, auch wenn Letzterer nachweislich Wunder wirken kann. Vermutlich ist der Unterschied aber innerweltlich gar nicht so groß. Und ich würde auch argumentieren, dass die Alveranier sich eben gar nicht so sehr ins Klein-Klein des Menschenalltags einmischen, und sofort ihr Karma entziehen, nur weil jemand mal gegen ein Gebot verstoßen hat. Man könnte es auch darin interpretieren, dass es eher die Gewissensbisse des Geweihten sind, die solche Folgen bewirken.
Wie auch immer, was ich sagen will: Ich sehe Spielraum in der Ausgestaltung von Geweihten, und nicht jeder muss ein im wahrsten Sinne des Wortes Heiliger sein.
Was natürlich
nicht bedeutet, dass ich befürworten würde, jeder solle seine Geweihten einfach so spielen, wie er lustig ist und einfach nur auf die Liturgien schauen und sagen: "Oh ja, das ist praktisch, das spiele ich jetzt" und sich dann einen Dreck darum scheren, was der religiöse Hintergrund ist. Natürlich gilt dann: Dann spiel doch besser einen Magier.
Was die allgemeine Abenteuerlust und das Herumreisen angeht: Ich finde, auch da sollte man bei allem Realismus niemals vergessen, dass die Spieler "Helden" spielen, also Personen, die qua ihres Status eine außergewöhnliche Biographie haben. Der Geweihte, der mit der Heldengruppe zieht, ist durch seine Definition bereits ein Sonderling und einer, der in bestimmter Weise aus der Rolle fällt, weil er eben nicht im Alltag geblieben ist, sondern "Abenteuer" erlebt. Bilbo war auch ein Hobbit, der im Grunde ein komplett untypischer Hobbit war. Sonst hätte es aber keine Geschichte gegeben und Smaug säße heute noch auf seinem Schatz. Natürlich ist es sinnvoll, diesen Reisen und Abenteuern immer noch eine logische Erklärung zu verpassen, das ist auch fürs Rollenspiel sinnvoll, um nicht ins Beliebige abzuheben. Aber ich gehöre da ebenfalls zum Lager derjenigen, die prinzipiell jeder Art von Charakter und Profession ein Heldenleben zugestehen würden.
(Dass natürlich im virtuellen Aventurien tatsächlich tausende und abertausende von "Helden" herumziehen, weil abertausende Rollenspieler gleichzeitig verschiedene Helden spielen ist ja in der Hinsicht gar nicht real; die meisten Heldengruppen stoßen sogar vergleichsweise selten auf "andere Heldengruppen". Und wenn, dann sind diese Heldengruppen meist auch recht low-key zusammengestellt und entsprechen eher kleinen Söldnergruppen, denen sich vielleicht mal ein Magier angeschlossen hat.)