Nepolemo ya Dolvaran hat geschrieben: ↑26.04.2020 09:47
Ich muss noch eine Sache loswerden. Mir geht die,
gefühlte, zunehmende Infantilisierung von DSA gehörig auf den Zeiger.
In der aktuellsten Regionalspielhilfe bin ich direkt im Vorwort über folgendes gestolpert.
Das Dornenreich S. 8 hat geschrieben: Das Setting von Aranien und Oron bot aber dank der phantastischen Autoren weit mehr und wurde beständig weiterentwickelt. Über den Kampagnen-Hintergrund Hinter dem Schleier wurde Oron vor allem zu einer geheimen Organisation, ungesehen von der Öffentlichkeit, die eine ähnliche Funktion wie Marvels Hydra erfüllte. Man konnte sich nicht sicher sein, wer dazu gehört und wenn man einen oronischen Zirkel ausgeschaltet hatte, wuchsen, wie beim antik-griechischen Marvel-Namensgeber, gleich zwei Köpfe nach.
Wieso ist es nicht möglich selbst zu beschreiben, inwiefern sich die Oronier verhalten? Warum diese Anspielung auf die Filme/Comics? Hat man keine Lust, das selbst zu machen? Denkt man dieser Verweis zeugt wie "cool und hip"™ man ist?
Das gleiche mit den comichaften Bildern (der Sultan aus Aladin im Dornenreich) in den neuesten Publikationen. Zusammen mit dem Duzen hinterlässt das bei mir einen absolut kindischen Geschmack, der mir null zusagt.
Auch die Übertragung irdischer Sprüche, die die coolen Kids™ heutzutage benutzen, nach Aventurien stört mich. Seit Dornenreich sagen die jungen Adeligen in Aranien Sprüche wie "Ich küsse Deine Augen". Wieso? Wer ist die Zielgruppe für sowas? Ich bin es jedenfalls nicht.
Ich finde das jetzt auch nicht besonders glücklich, aber ich wage zu behaupten, dass ein (im Grunde überflüssiger) Vergleich zur Veranschaulichung ein eher nachrangiges Problem ist.
Wolfio hat geschrieben: ↑26.04.2020 09:59
Es wäre mir zudem neu, dass Hydra Vergewaltigung, sexuelle Folter und Drogenmissbrauch toll fand.
Wie sagt man so schön: Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich.
Ich glaube, es geht mehr um den klandestinen Charakter der Organisation und weniger um die Zielsetzung
Assaltaro hat geschrieben: ↑26.04.2020 11:20
Zu dem Duzen:
Das war eine der Fragen bei der Umfrage vor DSA5 Beta, ob sie das Siezen behalten sollen oder lieber duzen sollen. Und das Duzen hat gewonnen. Insofern verwundert es mich wie oft sich darüber jetzt beschwert wird.
Aber mich stört das auch gar nicht, es ist eher komisch von einem Buch gesiezt zu werden. Vielleicht ist das aber nur Sozialisierung, weil mein Vater immer verdammt schnell zum Du übergeht mit allen und es mir daher auch normaler vorkommt.
Möglicherweise ist das eine Sache, die sich so durchgesetzt hat? In ADnD war das damals auch der Fall, dass der Leser gesiezt wurde (zumindest in den seltenen Fällen, in denen er angesprochen wurde; was man schon mit der Lupe suchen durfte) - nur dass das halt der Übersetzung geschuldet war...
Aryador hat geschrieben: ↑26.04.2020 11:43
Sich an die aktuelle Realität des Lesers augenzwinkernd anzubiedern ist aber nix, was für DSA komplett neu wäre. In der Südaventurien-Box von DSA3 gab es einen ganzen eigenen Abschnitt, der über "beliebte Lieder" sprach, und dabei so Perlen drin hatte wie "Ich erschlug wohl den Hauptmann, doch erschlug ich nicht den Corporal!" sowie ein angeblich bei Goldsuchern beliebtes "Katzengold, Katzengold" (falls sich hier noch jemand an Helge Schneider erinnert). Das war damals genauso alberner Teenager-Humor.
Nicht zu vergessen der Kriegsruf der Haipu "Haipa, Haipa!".
Und das Söldnerlied "Vierzigtausend Kriegshämmer".
Ich finde es aber eigentlich eher ärgerlich und auch ziemlich faul, wenn das dazu führt, dass komplette Begriffe einfach aus der jeweiligen Sprache übernommen werden, anstatt wenigstens die Sprachen ein klein wenig abzuändern. Wenn meine Helden plötzlich Italienisch oder Arabisch oder Französisch sprechen, dann reißt mich das ehrlich gesagt aus der Immersion. Ich will nicht in Italien spielen, ich will möchte bitte in Aventurien im Lieblichen Feld spielen. Man könnte sich ja Anleihen aus den jeweiligen Sprachen nehmen, und dann sagen die Leute halt statt "Habibi", "Hababa" oder wie auch immer, da gibt es sicherlich viele Möglichkeiten.
Weiß ich nicht - da hätte das System sich deutlich stärker von der irdischen Geschichte abgrenzen müssen. Beispielsweise wie bei ASOIAF - Valyria ist zwar von der Funktion her an Rom angelehnt, hat aber ansonsten wenig genug mit der antiken Supermacht gemein, dass sich der Gedanke, es würde sich um ein Abziehbild davon handelt, nicht gerade aufdrängt. Westeros dagegen ist wiederum sehr eindeutig England bzw. Europa (übrigens durchaus vergleichbar mit der Gesamtheit des Mittelreichs in DSA), und dort wird dann dementsprechend auch die Sprache der jeweiligen Lokalisierung gesprochen (inklusive der Eigennamen der Orte und Personen).
Um zu DSA zurückzukommen: Wenn man das ganze durch die Tolkien-Brille betrachtet, bei dem das an das altenglisch angelehnte Westron Mittelerdes, wie es in seinen Werken vorgestellt wird, eigentlich nur ein irdische Stand-in für eine eigentlich ganz andere Sprache ist, macht es vielleicht mehr Sinn... im Grunde muss man das sogar fast schon, denn ansonsten macht es das Gegenteil von Sinn, dass sich aus dem Bosparano (ziemlich eindeutig Latein) das Garethi (ziemlich eindeutig Neuhochdeutsch) entwickelt hat. Und wenn man das
so sieht, dann wird es im Grunde eher problematisch, die irdischen Sprachen abzuwandeln.
Oder, was ich ähnlich bedenklich finde, wenn sie Begriffe oder Konzepte einbauen, die zwar der Realität entnommen sind, aber eigentlich einem anderen Kulturkreis zuzuordnen sind, der mit der Vorbild wenn überhaupt bestenfalls peripher was zu tun hat (das "Hetman" der Thorwaler beispielsweise).
(Es kommt noch dazu, dass in solchen Fällen immer eine gewisse, meist wohl unterbewusste Diskriminierung vorherrscht, welche Kulturen anscheinend fantasygeeignet sind: China und Japan dürfen zum Beispiel verwurstet werden, aber niemand nimmt die Philippinen, Laos, Champa, Thailand oder Vietnam und deren Begriffe, Mythen und Sagen zum Vorbild. Aber das führt jetzt hier zu weit, das ist ein anderes Thema).
Relevanz und (stark durch Film und Literatur gefilterte) Vertrautheit; ganz simpel. Deswegen ist Westeuropa in den meisten an die Realität angelehnten RPGs ja auch wesentlich diversifizierter (da finden eigentlich alle Kulturkreise ihre Entsprechung, auch wenn natürlich in der Regel zB Spanier und Portugiesen oder Norweger, Schweden und Dänen zusammengefasst werden); während jenseits Europas nur noch solche "bekannten" (unter dem Vorbehalt des Halbwissens halt) Kulturen wie Sarazenen, Chinesen, Japaner, Azteken, Inder, und Afrikaner (als undifferenzierter Mischmasch) und evtl. noch Mongolen Berücksichtigung finden. Bzw. wenn es sich um einen an die Antike angelehnten Hintergrund handelt, halt nur Griechen, Römer, Ägypter, Babylonier und Assyrer und evtl. Hebräer.
Aryador hat geschrieben: ↑26.04.2020 11:55
Das hat mich jetzt übrigens überhaupt nicht gestört, ich musste mir allerdings eben erst auch ergoogeln, dass "Ich küsse deine Augen" tatsächlich Jugendslang 2020 ist. Für mich war das schlichtweg ein sehr logisches Beispiel für blumige Sprache.
Naja, es
ist ja auch blumige Sprache, und in der Türkei anscheinend gebräuchlich - es hat halt nur in den Jugendslang Einzug gehalten, weil der Möchtegernsultan vom Bosporus den Spruch auf dem Höhepunkt der Özil-Affäre losgelassen hat.
De facto hätte es vor 2018 besser gepasst als danach, so drängt sich aber halt der Gedanke auf, dass es was damit zu tun hat.