sagista hat geschrieben:Darf ich daraus folgern, dass du keinerlei Verständnis dafür hast, dass Leute, die praktisch ihr ganzes Leben mit einem klaren Bild von dem aufgewachsen sind "was sich gehört" und dann möglicherweise nicht verstehen, warum das plötzlich anders sein soll? Das finde ich ehrlich gesagt ein bisschen schade und bedauerlich und genau das meine ich auch mit Meinungstoleranz. Das lässt sich auch auf andere Personenkreise ausdehnen, z. B. auf gläubige Christen jeden Alters etc. Vieler dieser Leute sind in den letzten Jahren deutlich toleranter geworden, also lasst ihnen doch zumindest die Meinung, die vollständige Ehe sei doch eigentlich nur was für Mann und Frau.
Wie kommst du darauf, dass ich keinerlei Verständnis dafür hätte, dass Sozialisation, Lebensumfeld und -erfahrungen, etc. einen Menschen und sein Bild von der Welt prägen (freilich ohne das bis zur radikalen Determiniertheit zu versteifen)?
Die Frage meine ich ernst, denn deine Schlussfolgerung entzieht sich wiederum meinem Verständnis - als hätte ich irgendwo auch nur Annäherndes angedeutet oder mich dazu geäußert. Ebenso habe ich nirgends geschrieben, dass ich irgendetwas nicht tolerieren würde.
Ich lasse jedem seine Meinung über so ziemlich jedes beliebige Thema. Nur weil ich eine Position einordne (z.B. als homophob), bedeutet das doch nicht, dass ich die Position nicht toleriere oder, wenn ich etwa Details zum biographischen Kontext der Person kenne, mir nicht denken kann, woher es kommt - und kein Verständnis dafür aufbringe.
Unterscheide bitte zwischen einer diskursanalytischen Deskription und meiner persönlichen Meinung bzw. meinem Toleranzbegriff (oder anders: zwischen Analyse und Urteil). Ersteres ist nämlich die Sachebene, auf der diskutiert werden sollte, letzteres ist die persönliche Ebene, die weniger zur Debatte steht.
Bedauerlicherweise bist du nicht auf das Thema Priviligierung der Ehe eingegangen, deswegen frage ich mal zugespitzt: Stellt für dich jede Privilegierung einer bestimmten Personengruppe eine unzulässige Diskriminierung aller anderen dar?
Das Thema 'Privilegierung der Ehe' kam bis zu meinem letzten Beitrag nicht auf, wenn ich das recht überschaue. Unabhängig davon denke ich, dass man kann durchaus über die Ehe als Institution und ihre Rechtfertigung diskutieren kann. Das halte ich aber nicht unbedingt für eine Frage dieses Threads. Bzw. ist es keine Diskussion, an der ich derzeit teilnehmen möchte.
Halt nicht, wenn man die Ehe als traditionelle, zu fördernde Institution zwischen Mann und Frau sieht, die Keimzelle der Gesellschaft, aus der Kinder entwachsen.
[...]
Ist das schon "homophob"?
Ich bestreite nicht, dass es "homophobe" Positionen gegen die sogenannte Ehe für alle gibt, aber wiederhole gern, dass das nicht zwingend ist.
Ein Beispiel für eine "homophobe" Position gegen die Homo-Ehe, bei dem ich diesen Begriff für angemessen halte, ist in dem bereits viel diskutierten Gastbeitrag aus der FAZ zu lesen.
Da passt der Vorwurf der Homophobie und der Schwulenfeindlichkeit, vermeintlich geschickt aus der Position eines vermeintlichen Homosexuellen selbst geschrieben.
Ja, die erste Position ist homophob. Der, der als "Keimzelle" der Gesellschaft bezeichnet wird, erhält einen abgrenzenden Wert, was impliziert, dass andere diese Wertigkeit nicht haben. Es ist die Art (naturalistischer) Fehlschluss (naturalistisch, sofern mit "Keimzelle [...], aus der Kinder entwachsen" auf irgendeine Art natürlicher Fertilität angespielt wird; auch wenn der Begriff weiterträgt), die hier schön öfter aufkam.
Der FAZ-Artikel ist an mehr als einer Stelle homophob. Ich sagte bereits, dass das kein binäre Status ist, sondern graduierbar, in dem Fall durch reine Quantität verschiedener Aussagen.
Ich würde das schlicht als "verbohrt" bezeichnen. Ich glaube, das passt ganz gut. Diskriminierung, Phobie, das klingt nach, "der ist kurz davor, Molotow-Cocktails zu werfen". Das halte ich für falsch, vielmehr denke ich, dass jeder ein Recht auf Verbohrtheit hat (natürlich solang er friedlich bleibt, nicht pöbelt, keine Gewalt anwendet).
Ich kann allerdings wenig dafür, wenn sich die Anwendung fachgerechter oder sinnvoll hergeleiteter Begriffe für dich falsch anfühlt. Ich habe ausgeführt, was unter Diskriminierung zu verstehen ist (und keine mir bekannte Definition läuft auf "der ist kurz davor, Molotow-Cocktails zu werfen" hinaus) und wie ich in dem Zusammenhang Homophobie als terminologische Ableitung und Spezifizierung verstehe.
Ich denke auch, dass jeder ein Recht auf homophobe oder anderweitig diskriminierende Positionen hat, natürlich solange er friedlich bleibt, nicht pöbelt, keine Gewalt anwendet.
BurkhardSekir hat geschrieben:Ich bin ja auch für die Ehe für alle, aber um sagista mal zur Seite zu springen: eine Möglichkeit wie die Ablehnung nicht homophob begründet wäre, wäre zum Beispiel, wenn ich die Idee der Ehe "rein" halten will. Also die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau und nicht als Bund zwischen Frau und Frau oder Mann und Tisch haben möchte.
Sprich: es geht mir nicht darum, ob da zwei Schwule irgendwas machen, sondern die Institution Ehe liegt mir am Herzen.
Die Argumentation über irgendeine (metaphysische?) Reinheit schlägt im Prinzip in die gleiche Kerbe wie der Verweis auf die Natürlichkeit der dadurch allein ehewürdigen Beziehung zwischen Mann und Frau. Die Implikationen der Verunreinigung sind hier nur noch deutlicher.
Was des Weiteren die Diskussion um den reinzuhaltenden Begriff angeht, so hat sich bislang kein gleichwertiger Begriff herauskristallisiert. Man könnte durchaus fordern, dass staatlicherseits nur eine eingetragene Partnerschaft festgestellt wird und Ehe ein sakraler Begriff bleibt. Das ist aber nicht die Realität, die eben durch Sprache beschrieben und natürlich auch geformt wird.
Beispiel: ich möchte, dass Fußball nur von 40-45jährigen Männern gespielt wird. Das bedeutet, dass ich den Sport nicht von Frauen oder Kindern gespielt sehen will. Das macht mich aber nicht zum Frauenhasser oder "paisphob". Ich kann ja im gleichen Atemzug meine eigene Ehefrau vergöttern und Merkel wählen und meinen Sohn zum Tennis bringen und jedem seiner Sportveranstaltungen beiwohnen.
Ich kann für die Versklavung allein schwarzer Menschen sein. Solange ich eine schwarze Ehefrau habe, die ich vergöttere, macht mich das nicht zum Rassisten.
Diskriminierende Positionen werden nicht durch irgendwelche anderen Positionen aufgehoben. Das ist keine Frage positiver oder negativer Ladung, die sich aufhebt, sondern jede Sicht auf ein Einzelding formt als Bildelement ein gesamtes Weltmosaik, das dann eben mehr oder weniger von Diskriminierung geprägt ist.
Eulenspiegel hat geschrieben:Das gleiche gilt für die Ehe: Man kann sich fragen, ob die Ehe noch zeitgemäß ist. Aber man kann sich nicht fragen, ob die Definition der Ehe noch zeitgemäß ist.
Man kann sich fragen, ob es eines neuen Ehe-Begriffs bedarf. Ich denke, darauf wollte Firnblut hinaus.
Ebenso, wie man sich fragen kann, ob 'Dirndl' noch zum Begriff eines (zeitgemäßen) städtischen Modephänomens gehört oder ob 'Pferdekutsche' noch zum Begriff eines typischen (städtischen) Fortbewegungsmittels gehört - um deine Beispiele entsprechend einzuordnen.
Wenn zuvor Ehe als ein Bund zwischen Mann und Frau galt und er nun auch jeweils zwischen Männern und Frauen gilt, dann ist das bereits ein neuer Ehe-Begriff - und zwar einer, der keine homophobe Geschlossenheit mehr impliziert.