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von Michael_Boe
27.05.2018 10:10
Forum: Abenteuerbewertungen
Thema: HW10 Rache ist Stockfisch
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HW10 Rache ist Stockfisch

Hallo DAS-Forum,

Das hier ist ein Re-Release der Rezension die ursprünglich auf meinem Blog (featherandsword.wordpress.com) erschienen ist. Da es den Blog nicht mehr gibt, die Informationen aber vielleicht für interessierte Spieler von Belang sind, habe ich mich für eine Neuveröffentlichung hier im Forum entschieden:


Kaum hatte ich das kleine Heft, mit der keck dreinblickenden Thorwalerin auf dem Cover, in der Hand, wurde meine Vorfreude auch schon von Ackerknechts Artikel gebremst (zum Artikel bei Nandurion). Zu blutrünstig sei der Hintergrund, zu wenig Spielbar das Szenario mit einer gängigen Heldengruppe und dann wären da noch einige Widersprüche zu dem, was wir über Aventuriens Nordmänner wissen. Dazu direkt vorab: Ich kann Ackerknechts Meinung sehr gut verstehen. Die Rezension ist detailreich, gut recherchiert und geschrieben und hat verständlich gemacht, warum das Abenteuer für den Rezensenten so gar nicht funktioniert. Trotzdem kam ich selbst beim Lesen zu einem anderen Fazit. Anderer Blickwinkel, andere Meinung. Sonst nichts. Und weil Ackerknecht noch viel mehr Details angesprochen hat, als ich an dieser Stelle, kann ich seinen Text jedem nur wärmstens empfehlen!

Einmal ohne Spoiler bitte

"Rache ist Stockfisch" dreht sich um ein Familiendrama, dass sich in einem Dorf in Thorwal abgespielt hat. Die Helden stolpern in eine Kriminalgeschichte, bei der keiner der Beteiligten wirklich unschuldig ist und sie müssen entscheiden, welches Ende die Erzählung nimmt. Das außergewöhnliche dabei ist, wie profan die Handlung daherkommt. Denn die Bluttat geht nicht auf das Konto eines Paktierers, eines alten Fluchs oder eines Kults des Namenlosen. Ganz normale Menschen haben hier aus niederen Beweggründen unaussprechliches getan. Ein Verbrechen, wie es auch in der echten Welt passiert sein könnte. Menschliche Abgründe, nicht mehr und nicht weniger.

Ob es einem gefällt, Aventurien als unserer eigenen Welt so nahe kennen zu lernen, ist Geschmackssache. Für mich hat die Autorin des Abenteuers allen Charakteren ein glaubhaftes Motiv für ihre Handlungen ersonnen und es gibt nur wenig schwarz und weiß. Als Kulisse dienen einige sehr gelungene Schauplätze, die von einer Klippe im Sonnenuntergang, über eine Thorwalsches Dorf, bis zur Infiltration eines feindlichen Lagers reichen.

Für ein Einsteigerabenteuer deckt das meiner Ansicht nach ein angenehm breites Spektrum ab und die Szenen erlauben es jedem Archetyp einmal im Rampenlicht zu stehen. Die Herausforderung für Spielleiter wie Spieler ist es nicht komplexe Regeln im Auge zu behalten und auch die Anzahl der Nichtspielercharaktere bewegt sich auf angenehm niedrigen Niveau. Was das Abenteuer jedoch zum Scheitern bringen kann, ist, dass es einen differenzierten Umgang mit den Themen Moral, Recht und Gerechtigkeit erfordert. Wer erwartet einfach "den Bösen" zu stellen und zu erschlagen und gut ist, den dürfte das Abenteuer überfordern. Hier gibt es mehr zu bedenken und glücklicherweise greift Gudrun Schürer im Text dem Spielleiter immer wieder mit Tipps und kleinen Details unter die Arme. Am Ende kommt es aber auf die Gruppe an, ob sie sich mit solchen, nicht ganz einfachen Themen befassen will oder doch lieber ein anderes Abenteuer zur Hand nimmt.

Das Abenteuer im Detail

Für eine extrem gute Zusammenfassung des Abenteuers kann ich schon wieder nur auf die bereits erwähnte Rezension verweisen (zum Artikel bei Nandurion). Ich lege meinen Fokus hier stärker auf die einzelnen Charaktere und ihre Motive, was ich als das herausstechende Merkmal des Abenteuers ansehe.
Spoiler

Die Autorin gibt uns gleich mehrere NSCs an die Hand, die alle auf die eine oder andere Weise Dreck am Stecken haben.

Der Haupttäter ist Halgrim, der nicht nur als Handlanger für einen Hehler gearbeitet hat um Sternengold unter den Augen der Orkischen Besatzer wegzuschmuggeln und der seinen Auftraggeber auch gerne noch um einen Teil der Beute bringen will. Nein, er hat zudem auch in Wut seine Geliebte und ihr Neugeborenes erschlagen, als er merkte, dass seine Frau ihm untreu und er nicht der Vater des Kindes war.

Halgrim kann man sehr einfach als "böse" abstempeln, trotzdem wird er als Charakter gut gezeichnet. Seine Geliebte war die einzige Person in der Welt der er vertraute und die ihn verstand. Betrogen von seinem Auftraggeber kehrt er heim und als er das Kind sieht, das nicht seins ist, bricht seine Welt zusammen. Der Tod seiner Geliebten ist ein tragischer Unfall, kein Mord. Sie stürzt als er sie im Streit aus Wut von sich stößt. Der Mord am Säugling ist eine Kurzschlussreaktion in blinder Wut und Verzweiflung. Als er die Folgen seines eigenen Handelns sieht, flieht er schuldbewusst so schnell er kann. Seine einzige Chance ist es zu Geld zu kommen und dann so weit wie möglich von diesem Unglücklichen Ort zu fliehen.

Nicht viel besser steht Ysten da. Er ist der Sohn des Hetmanns und hat eine Affäre mit einer Köhlerin, deren Familie noch dazu im Ort als Walmörder geächtet ist. Als er nach Halgrims Bluttat als erster am Tatort ankommt ist sein erster Gedanke nicht zu helfen oder zu trauern, sondern sich selbst zu helfen. Er erinnert mich an die tragischen Figuren aus den Werken Shakespeares, die unaussprechliches tun, damit ihr Ruf gewahrt bleibt und die sich das selbst versuchen schönzureden. Er zerstückelt also die Leiche des Neugeborenen, nur um zu verhindern, dass jemand die Ähnlichkeit mit ihm erkennen könnte. In seinen Augen eine Tat ohne echtes Opfer. Er ist in seinem Handeln noch kaltschnäuziger als Halgrim. Er handelt nicht im Affekt oder ist geblendet von Wut. Seine Tat ist kalkuliert, kaltherzig und nur auf sein eigenes Wohlergehen ausgelegt. Zudem handelt er ohne echten Zwang. In einer recht offenen Gesellschaft, als welche die der Thorwaler beschrieben wird, wären die Folgen seines nun toten unehelichen Kindes wohl nur milde gewesen.

Dann wäre da noch Bonnaro, ein horasischer Schmuggler und Hehler, der einen arglosen Prospektor mit Hilfe eines gefälschten Schreibens in den Norden gelockt und dadurch in große Gefahr gebracht hat. Seinen Partner, Halgrim, wollte er am ergaunerten Lohn nicht teilhaben lassen. Der Südländer hat sich gleich dreifach strafbar gemacht: die Orks wollen ihm vermutlich wegen des gestohlenen Sternengolds gemeinsam mit seinen orkischen Partnern die Haut abziehen. Die Horasische Nordmeer-Compagnie wird die Fälschung eines offiziellen Schreibens mit Sicherheit auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Und zuletzt hat auch Peruzzi, der gelinkte Prospektor, allen Grund nach Wiedergutmachung zu verlangen.

Die schiere Vielfalt an größeren und kleineren Verbrechen denen sich der Schmuggler schuldig gemacht hat, bieten sich wunderbar als Möglichkeiten zur Fortführung des Abenteuers an. Nachdem in Thorwal am Ende des Abenteuers alles geregelt ist, könnte man Bonnaro in den Süden bringen und ihn dort der Nordmeer-Compagnie übergeben. Ist ein Ausflug in Richtung Svellttal geplant, kann der Gefangene auch an die Orks übergeben werden. Oder ganz im Gegenteil lassen sich die Helden davon überzeugen, dass Bonnaro ein findiger Verbündeter sein kann, der jetzt sicheres Geleit an einen Ort sucht, wo sein Name nicht auf Steckbriefen zu lesen ist.

Zu guter Letzt ist auch die junge Swafrieda nicht ganz unschuldig. Ihr Leben in Vedvarnheim war niemals einfach. Die Familie sah sich von der Gemeinschaft ausgegrenzt und die junge Thorwalerin musste stets für sich selbst eintreten. Sie muss den Mord an ihrer eigenen Schwester mit ansehen und dann auch noch feststellen, dass im Dorf niemand so recht unglücklich mit dem Ausgang der Geschichte ist. Enttäuscht und wütend nimmt sie die Sache selbst in die Hand.

Eigentlich ist Swafrieda eine typische Heldin, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt statt sich ihm zu ergeben. Sie wandelt auf dem Pfad der Gerechtigkeit, kommt dabei aber, als sie das Boot ihres Hetmanns stielt und in Brand steckt um ihre Schwester das letzte Geleit zu geben, mit dem Gesetz in Konflikt. Als sie den Mörder, Halgrim, konfrontiert, tötet sie ihn nicht einfach in blinder Wut. Ohne weiteres hätte sie ihn mit dem Bogen niederschießen können, stellt ihn jedoch stattdessen zur Rede. Sie ist ein ängstliches, verletztes und zutiefst erschüttertes Mädchen und keine kaltblütige Mörderin. Mehr fehlgeleitete Heldin als blutiger Rächer. Mich würde es reizen den Charakter selbst als Spieler Charakter nach diesem Abenteuer weiterzuspielen.

Die Rolle der Helden ist es, diesen verzwickten Fall erst einmal zu verstehen und dann zu einer Lösung zu kommen, die nicht nur rechtens, sondern auch noch gerecht ist. Die Rechtslage ist weitestgehend klar: Selbstjustiz ist keine Option und selbst Halgrim erwartet im schlimmsten Fall Verbannung. Ich habe selbst Spieler, die beim Mord an einem Kind, selbst in blinder Wut, Affekt oder wie man es auch beschönigen mag, nur kalten Stahl als Antwort kennen würden. Hier finde ich charmant, dass Swafrieda selbst zögert, als sie die Chance hat den Mörder niederzustrecken. Das sollte den Spielern einen Hinweis geben, dass ein Rachemord noch immer ein Mord ist und einem Charakter nicht leicht von der Hand gehen sollte.

Auch die anderen Fälle sind nicht schwarz-weiß. Selbst wenn die Helden nicht das Sternengold stehlen wollen, so müssen sie trotzdem den arglosen Prospektor retten, der in die ganze Sache mit reingezogen wurde. Und was macht sie dann mit Bonnaro? Überlässt man ihn den Orks? Eigentlich sind sie ungeliebte Besatzer, arbeitet man ihnen wirklich in die Hände? Fragen über Fragen, aber die Fakten sind relativ eindeutig und leicht zu beschaffen. Am Ende geht es nicht um das ausknobeln einer verworrenen Geschichte, sondern das finden einer eleganten Lösung für ein gut beschriebenes und trotzdem komplexes Problem.
Fazit

Mich hat "Rache ist Stockfisch" durch und durch begeistert. Die Helden tauchen in ein realitätsnahes Aventurien ganz im Sinne der fantastischen Realität ein. Es gibt zwar Sternengold, Nordmänner und Orks, aber die Geschichte selbst ist bodenständig und nachvollziehbar. Die facettenreichen Charaktere, ausgestattet mit nachvollziehbaren Motiven, sind der Autorin meiner Ansicht nach hervorragend gelungen und machen das Abenteuer aus. Sie sind der Grundstein für eine Geschichte, die zwar einfach zu verstehen ist, deren Lösung aber zum Nachdenken und Diskutieren anregt. Wer mit seiner Gruppe weiterspielen möchte, findet dafür Zahlreiche Aufhänger und Hinweise im Abenteuer, die Wege in alle Himmelsrichtungen weisen.

Als Rahmen der Geschichte dienen abwechslungsreiche, in ausreichendem Detail beschriebene Schauplätze, die allen Archetypen Raum zum Spielen lassen. Stets führen mehrere Herangehensweisen zum Ziel und auch eine unerfahrene Spielgruppe sollte es ohne Probleme bis zum Ende des Abenteuers schaffen. Die zum Leiten nötigen Informationen werden kompakt und gut verständlich präsentiert. Die Sammlung aller spielrelevanten Charakterwerte am Ende des Heftchens und der sparsame Umgang mit Sonderfähigkeiten, sollten Kämpfe für den Meister sehr erleichtern. Weiterhin positiv für unerfahrene Spielleiter und Spieler, ist der gänzliche Verzicht auf Magie und Götterwirken im Abenteuer.

Ist "Rache ist Stockfisch" also das perfekte Einstiegsabenteuer? Ja, für eine Gruppe, die ein spannendes und komplexes Abenteuer erleben will, ohne Schwarz-Weiß-Malerei, mit viel Raum zum eigenen Charakterspiel und Diskussionen von Lösungen am Spieltisch, die aber bei den Regeln auf Einfachheit Wert legt.

Für eine Gruppe, die sich nicht mit unserer Welt allzu nahen moralischen Fragen beschäftigen will oder die einen klaren Feind als Ziel im Abenteuer brauchen, ist das Abenteuer hingegen nichts.

Dieses Abenteuer braucht Erfahrung, nicht auf der handwerklichen Seite, was Vorbereitung und Regeln angeht, sondern auf der menschlich-emotionalen Seite. Man sollte als Gruppe entsprechend im Voraus wissen, ob man sich auf diese Art Abenteuer einlassen will.

Bewertung: Sehr gut (5 Sterne)