Dreifach20 hat geschrieben: ↑19.03.2021 19:44
Respekt, das du als SL deine ganze Vorbereitung in die Tonne kippst und die Gruppe nicht in die geplante Richtung schubst.
Ich habe auch erst später realisiert, was da eigentlich passiert war. Ich bereite ja sonst auch selten alles detailliert vor, weswegen ich gewohnt bin zu improvisieren. Zitat eines Spielers, als ich mal einen A4 Zettel mit Notizen auspackte: "Neue Kampagne!?"
Außerdem kann ich nicht ständig den Sandkasten predigen und dann Bahngleise verlegen, da ich (zumindest in dieser Gruppe*) immer sage, dass jeder machen kann was er möchte. Normalerweise funktioniert das auch ganz gut und dies Spieler geben auch das Feedback, dass sie das Gefühl echter Handlungsfreiheit sehr schätzen. Wobei sie damals 2008, als ich zu ihnen stieß erstmal extrem befremdet waren und ihre kurze Spielleiterleine vermissten. War für mich übrigens auch ein Kulturschock, da ich die 3-4 Jahre davor ausschließlich Vampire The Masquerade geleitet hatte - für eine angegothte Gruppe Kunstgeschichtestudentinnen. Sollte man übrigens unbedingt machen, falls sich mal die Gelegenheit bietet.
*Diese Freiheit bietet sich besonders an, da die Gruppe hierarchisch strukturiert ist: Ritter (Freiherr) > Phexgeweihter (Knappe des Königs - wie er das wurde, ist auch eine richtig gute Story) > Vinsalter Kriegerin (Militärattaché) >Zwerg + Buskur + Elfe (Waffenschmied + Hauptmann + Fährtensucherin) > Hexe (Köchin) > Schelm (Schweinehirt) > Orkkrieger (In der Findungsphase, neuer Char des Zwergenspielers); deswegen sortiert sich die Entscheidungsfindung recht organisch, jeder sagt seine Meinung, dann wägt der Ritter ab und bestimmt, was jeder zu tun hat. Falls jemandem seine Anweisung missfällt, wir die natürlich so frei wie möglich ausgelegt oder gleich ignoriert, besonders natürlich vom Schweinehirten und der Elfe.
Irike hat geschrieben: ↑20.03.2021 10:21
Oder aus schierer Rache in den Fluss.
Best served cold
Du triffst hier das Kernmotiv meines Abenteuers ganz genau. Es ging schon bei der Konzeption des Abenteuers darum, dass die Heldengruppe den Zorn eines Hexenzirkels auf sich gezogen hatte. Der Raubritter war deren Marionette und das technisch gesehen im Wortsinn: Sie haben ihm eine Rüstung geschenkt, die in Wirklichkeit ein Metallgolem unter der Kontrolle der Hexen ist. Ob er darin überhaupt noch lebt oder langsam vor sich hin mumifiziert, wurde niemals abenteuerrelevant. Dass die Heldengruppe mal von fünf sehr unterschiedlichen Frauen angegriffen wurden (unser Ritter sollte im Badewasser ersäuft werden) oder dass der Vogt von Eichhafen ertrunken in der Burg gefunden wurde hielten wiederum die Spieler für eher wenig relevant.
Die Helden ziehen sich jedenfalls zur Burg Kalleth zurück, es gibt nämlich die Geburt eines Kindes zu feiern, unser Ritter wird Vater und ein Fest wird gegeben und allerlei Volk strömt herbei von weit und fern. Die Helden sind besonders verblüfft über die Menge an Gauklern, die plötzlich auftauchen, um die Leute zu unterhalten. Deswegen investigieren sie, vermuten eine fahrende Schwester (zu Recht, aber die weilt gerade woanders). Und so vollenden die Hexen ungestört ihr Ritual, Frost überzieht den Festplatz, der Feuerteich gefriert und alle fliehen in Panik... ein seltsames Knacken ertönt und dann noch eins und dann stürzt die erste Burgmauer um... und dann rutscht ein Teil des Felssockels ins Tal und schließlich fällt der Bergfried in sich zusammen. Panisch sucht unser Ritter in den Trümmern mit blossen Händen nach seiner Frau und dem Neugeborenen. Aus den Boxen tönt Ludovico Einaudis "Primavera" und der freundliche SL (ich, kaum nachtragend) reicht dem Spieler zwei W20: "Würfel mal die beiden, der blaue ist deine Frau, der rote dein Kind, von 1-10 findeste die lebend, bei 11 oder mehr ist es zu spät." Der Spieler kriegt zwei niedrige Ergebnisse und somit kann der Ritter sowohl die Dame Zulhamin (seine Gattin und nebenbei bemerkt mächtige Magierin) als auch seine Tochter bergen. Beeindruckendes Rollenspiel. Die anderen Helden sehen die fünf Hexen kreisend und kreischend und zeternd und fluchend auf ihren Besen hockend, kommen jedoch nicht auf Pfeilschußreichweite heran.*
Die intellektuellen Fähigkeiten der Spieler sind nun gefragt: Was könnten Hexen gegen uns haben? Wieso sterben die Opfer eigentlich alle an Ertrinken? Wie sollen wir nach so wenigen Hinweisen nur darauf kommen? Und auch ihr Foristen fragt euch gewiss: Wo will denn der Ivar mit seinem Plot hin? Der ist doch sonst nicht so verschwurbelt. Die Spieler wollen einen Tipp. Ich so: „Was könnten so rachsüchtige Gestalten von euch wollen? Hm, was haben diese Helden denn als Letztes erlebt? Damals als sich der J die Andergastgruppe ausgeliehen hatte?“ Alle inklusive, J müssen erstmal überlegen. Das war doch was mit so Trollen und so. Wir haben uns da nix zu Schulden kommen lassen. Die böse Hexe haben wir überführt und gefangen gesetzt. Und weil dem Ritter der Weg in die Stadt zu weit und die Hexe sowieso schon mit einer dicken Eisenkette gefesselt war haben wir sie im See ertränkt. Ich so: „Und welche Schlüsse zieht ihr daraus?“ Jetzt geraten die Spieler in Euphorie, weil sie ganz alleine drei Sitzungen, nachdem sie es hätten bemerken MÜSSEN, erkannt haben, dass der Rest des Hexenzirkels die Aktion der Gruppe suboptimal fand. Mitten in diesen Sherlock-Moment hinein schaltet eins der Spielerhirne noch auf Hercule Poirot-Modus, der Spieler schaut triumphierend in die Runde und beginnt den Satz „Und deswegen waren auch alle Opfer…“ und die anderen wie aus einem Munde „Ertrunken!“ Spätestens jetzt will die Gruppe Lob für ihre phänomenale Auffassungsgabe. Ich lobe ausführlich, vergebe Bestnoten für Amnesie (der Spielleiter des letzten Abenteuers kriegt sogar eine 1+), borongefälliges Vergessen und die Willenskraft, sich partout nicht mit den Motiven von NSCs beschäftigen zu wollen.
*Das war natürlich nicht die Retourkutsche fürs Verweigern der Flussüberquerung, ich bin ja kein Arsch. Die Zerstörung qua Ritual habe ich spontan geklaut aus einem Abenteuer, das ich am Wochenende vorher auf dem SBK-Forentreffen bei @Janko gespielt hatte. Gerächt habe ich mich, indem ich einen mehrseitigen Brief verfasst und gesiegelt habe, den der Ritterspieler zu Beginn der Sitzung nach obigen Ereignissen komplett verlesen musste. Darin beschreibt meine Figur aus dem „Wir-ersäufen-am-Ende-sinnlos-ne-Hexe“-Abenteuer, wie sie einen Ort gegen den Angriff (überraschenderweise muss sie die Überquerung des Ingval verhindern) des Raubritters zu verteidigen gedenkt. Komplett mit zu erwartendem Heldinnentod, Finten, Kommandovorstößen, der Enthüllung, dass sie vor den Spielerhelden auf des Rätsels Lösung kam und Blutflecken (habe ich mit roter Tinte gefakt). Die Spieler machen ganz schmale Mündchen und fragen, warum ich so ein geiles Szenario nur aus NSC-Sicht schildere. „Weil genau das Szenario euren Helden ja zu gefährlich war, ihr Ottos“, erwidere ich einigermaßen schlagfertig. Falls euch der Fortgang der Geschichte oder der Brief interessiert, kann ich davon auch noch was davon posten, aber ich habe jetzt schon den Eindruck, dass ich das ganze Internet vollgeschrieben habe.
Die zweite Mini-Rache war dann noch an einem Spieler, der total auf Bodenpläne und Aufsteller/Minis/Blips zum darauf rumschieben steht, womit wir aber eigentlich nie spielen. Als der zum ersten und einzigen Mal seit Jahren fehlte, habe ich das dann natürlich gemacht und er hat ein schönes Foto vom Spieltisch bekommen.