Ich teile die hier so oft vertretene zentrale Grundannahme einfach nicht, nämlich dass die Amazonen OT so positiv und cool dargestellt werden. Von wem eigentlich? Das erschließt sich mir aus Jadorans Posts (den ich hier mal beispielhaft aufgreife) nicht. Von der Redaktion oder den Spieler*innen?
Dass die Redaktion die Amazonen nicht heroisiert, sondern wie eigentlich fast alles in Aventurien grau und differenziert darstellt, schreibt Jadoran eigentlich schon selbst:
„Es ist mir klar, dass die Amazonen als total cool gesetzt werden sollten, mit einer weisen, liebenswerten, superkampfkräftigen und supersexy ewigjungen Königin an der Spitze, aber was tatsächlich beschrieben wurde, ist wirklich kein angenehmer Verein.“
"Das offizielle Auftreten der Amazonen - etwa der "Beispielamazone" in Krieger, Krämer und Kultisten - ist gegenüber Männern rabiat, herablassend, es ist gewalttätig."
Ich finde die Beschreibung aus den offiziellen Quellen - „archaisch, konservativ, fanatisch, kindstötend, Männer herablassend behandelnd, rekrutieren auch zwangsweise Mädchen usw.“ - auch nicht sympathisch, sondern sogar in vielen Teilen ziemlich negativ. Ich finde auch nicht, dass Gilia als die liebenswerte, heroische, strahlende, sexy Anführerin dargestellt wird. Im zerbrochenen Rad ist sie eigentlich fast bis zum Ende eine orientierungslose Kampfmaschine, die gar nicht weiß, welchen Werten sie folgen soll. Die Amazonen sind in den offiziellen Quellen immer eine Mischung aus herausragenden, toll anzusehenden Kriegerinnen mit mystischem rondrianischem Kodex und eben sehr konservativen, archaischen, harten, vorurteilsbehafteten Frauen, die ziemlich schnell in negative Verhaltensweisen umkippen können (es reicht ein guter Illusionszauber und schon schwören sie allen rondrianischen Tugenden ab…). Ich kann da keine total coole Setzung erkennen. Die Amazonen werden als durch und durch grau dargestellt: Herausragend gut in ihrer Kampfkunst (sie tun ja auch fast nichts anderes als trainieren), extrem gläubig und damit rondrianisch ehrenhaft (als die positiven, heroischen Aspekte), aber mit einem sehr zweifelhaften und eher negativem Sozialverhalten (fanatisch, herablassend, weltfremd, hart, konservativ, archaisch usw.usf.).
[Ich finde jedenfalls gut, dass die Amazonen so grau und differenziert sind. So kann die eigene Amazone genauso als konservative, harte, gnadenlose (böse babymordende) Fanatikerin gespielt werden, als auch als modernere, ehrenhafte, moralische und gewissenhafte Heroin, welche die alten archaischen Riten ablehnt.]
Heroisierende Darstellungen kommen eigentlich zumeist aus IT-Darstellungen (z.B. dem Boten von 15 Hal). Die Heroisierung hat da, wo ich sie fand, zwei Ursprünge (weil die Mittelreicher ja üblicherweise auch nicht viel mehr von den abgeschiedenen Amazonen mitbekommen):
Erstens, Heroisierung und Dankbarkeit, weil die Amazonen (mal wieder) in irgendeine Schlacht eingegriffen haben und dabei den bedrängtesten Truppen gerade noch den Allerwertesten retteten (und das ist ja das amazonische Markenzeichen, immer dann zu erscheinen, wenn die Schlacht aussichtslos erscheint und doch noch von ihnen gedreht wird unter großen Verlusten). So war das im Botenartikel: Wenn dem Mittelreich gerade 50 Kriegerinnen einen sehr verlustreichen Einsatz gegen die Oger durchgeführt haben und (ich glaube) entscheidend zum knappen Sieg beitrugen, dann finde ich Jubelartikel nicht so erstaunlich. Dazu kommt der eindrucksvolle Auftritt mit den glänzenden Rüstungen, perfekter Kampfkunst und tollen Pferden und ein geheimnisvoll schneller Abgang ohne auch nur ein „Danke“ hören zu wollen. Ich wundere mich da nicht über große Dankbarkeit und Jubelarien, vor allem, weil alles Negative (Fanatismus, Kindermorde, Männerhass) ja bei diesen kurzen Schlachtauftritten kaum erlebt werden kann und noch weniger bekannt ist. Das änderte sich jetzt in Tobrien natürlich, weil man da Seite an Seite kämpfen muss. Die Beschreibung spricht da sehr eindeutig von vielen Streitereien und dass die Amazonen sich auch ändern und zähneknirschend manche Verhaltensweisen aufgeben müssen. Ich kann da zwar Dankbarkeit der Tobrier*innen für den gemeinsamen Kampf herauslesen, aber nicht, dass diese Amazonen nun in allem total cool etc. finden.
Zweitens, die Bewunderung von rondrianisch eingestellten Menschen. Amazonen sind bekannt dafür, dass sie die rondrianischen Regeln mit jeder Faser leben und eine herausragend gute Kampfkunst haben. Das ist es, was Rondrianer*innen von ihnen annehmen und was Amazonen auch nach außen zu tragen versuchen. Natürlich finden Rondrianer*innen sowas toll! Ich bin überzeugt davon, dass Rondrianer*innen nicht viel mehr als das von Amazonen wissen und wahrscheinlich, würden sie mal auf einer der Burgen leben oder länger mit einer Amazone zu tun haben, nicht mehr ganz so begeistert wären (ging zumindest meiner Kriegerin so, die die ganzen Männervorurteile nicht verstehen konnte). Ich kann auch sehr gut nachvollziehen, warum rondrianische Männer gerne mit einer Amazone ein Kind zeugen: Weil es der Mythos ist, dass Amazonen nur einen sehr würdigen, rondrianischen Mann erwählen, am besten einer, der schon eine Heldentat beging und in der Lage ist, dieselbe Amazone auch im Kampf zu besiegen. Ich kann mir nur wenig größere Schmeicheleien für das eigene, rondrianische Ego vorstellen. („Wow, meine Heldentat ist so bekannt, dass sie die abgeschiedenen Amazonen auch wissen, sie halten mich für so rondrianisch und begabt, dass sie mich für einen würdigen Erzeuger halten. Ich darf jetzt ein Duell gegen eine Amazone fechten und Rondra zeigen, was in mir steckt. … Oh Mann, bei Rondra, ich habe tatsächlich eine Amazone besiegt!!!“) Es ist ja nicht so, dass Amazonen diese Männer zum Sex zwingen (wo werden Übergriffigkeiten beschrieben? Sowas ist mir null bekannt - KKK habe ich leider nicht vorliegen), sondern sie verkaufen es als die größte Ehre für einen Rondrianer. Gut, wahrscheinlich schaut die tobrische Realität anders aus und es wird auch mal der mittelmäßige und nicht extrem gute Kämpfer ausgesucht, aber auch hier dürften sich erwählte Tobrier geehrt fühlen, denn sie haben ja irgendwas geleistet, was beeindruckte.
Der große Rest weiß von den Amazonen wahrscheinlich genauso viel wie von den Theaterrittern oder anderen geheimnisvollen Gestalten und plappert höchstwahrscheinlich jene Heldengeschichten nach, die die Amazonen von sich erfolgreich in der Priesterkaiserzeit erschufen („mutige Rebellentruppe, setzt den Praioten einen Hahn aufs Dach… etc.“) und von Rondrianern und eben geretteten Soldaten weitergesponnen werden. Und verdammt, auf einfache Leute wirkt eben die glänzende Rüstung, das befehlsgewohnte, harsche Auftreten, die Kampfkunst und die tollen Pferde auch. Das Mittelreich ist eine Standesgesellschaft und wer wie die Amazonen wie Adlige auftritt (so fühlen sie sich ja selber und werden glaube ich vom Adel sogar als solcher anerkannt), wird auch so behandelt.
Bleibt also, dass Jadoran möglicherweise den Spieler*innen oder manchen Forenschreiber*innen hier vorwirft, dass sie Amazonen zu cool finden. Naja, ich kann nicht für alle Spieler*innen argumentieren. Aber wie auch schon gesagt wurde, ich bin mir nicht sicher, wie viele Spieler*innen von den Kindsmorden wissen. Die Kindsmordpassage findet sich tatsächlich nur im Botenartikel und in der DSA3-Amazonenbeschreibung (Kiesows Buch habe ich nicht mehr im Kopf). Wie viele mögen diese echt alten Quellen noch kennen? Woanders (Verschworene Gemeinschaften, jüngere Amazonenbeschreibungen von DSA4 oder Beschreibungen über die Kirche der Amazonen in DSA4 Götterheften) kann ich das nicht mehr finden. Vielleicht will die Redaktion den Kindsmord nach und nach in Vergessenheit geraten lassen… Ich glaube, dass viele Spieler*innen gar nicht viele Informationen über die Amazonen haben und daher ihr cooles Amazonenbild von woanders her haben. Wie ich schon schrieb, meiner Meinung nach kann es nicht an den OT-Beschreibungen der Redaktion liegen – die sind durch und durch differenziert und alles andere als rein heroisierend (von der tollen Kampfkunst mal abgesehen).
@Jadoran: Herrje, da hast du mir aber wirklich jede Menge unterstellt.