Das übliche Mantra zuerst: Was, bei allen Zwölfen, ist bei der Planung dieser Kampagne schiefgelaufen?
Band IV der Drachenchronik besteht aus zwei recht unterschiedlichen Teilen. Der erste ist eine kurzgefaßte Regionalbeschreibung Zze Thas, der zweite ein klassisches Abenteuer, das die DC beendet. Dazu kommt noch ein bißchen Drumherum - Einleitung, Personen, Wertekästen und dgl.
Die Einleitung demonstriert nochmal sehr schön einige der wesentlichen Probleme dieser "ich wäre so gerne eine Kampagne"-Ansammlung von Abenteuern, indem die bisherigen Bände hübsch zusammengefaßt werden. Immerhin ahnen die Helden inzwischen vielleicht entfernt (sinngemäßes Zitat; das steht da völlig ironiebefreit drin!), worum es in dieser Kampagne überhaupt geht...
Dann kommen ein paar der wichtigsten Personen. Der Ort ist nicht besonders glücklich - so muß man garantiert blättern, wenn man die aufgeführten Personen sucht, und bei Pardona gleich doppelt, weil sie (in dem Fall: sinnvollerweise) weiter hinten beschrieben wird. Der Kasten "Ressourcen" bei Oszandarra ist eine gute Richtung; er hätte etwas konkreter sein können und wäre gerade bei Yalstene praktisch gewesen. Was die Verbündeten der Helden betrifft - außer der Zwergentruppe kommen die im Zweifelsfall auch alle alleine nach Zze Tha. Da rächt sich wieder mal die verkorkste Planung.
Dann folgt die Beschreibung Zze Thas. Schon dafür lohnt sich der Band mMn, denn damit kann man tatsächlich eine ganze Menge anfangen. Geradezu ideal ist das Setting, um mal eine Achazgruppe auszuprobieren (oder andere Echsen, wenn man sie sich selber basteln will). Dominierend ist der wuchernde Dschungel, aber daneben gibt es ein paar Städte mit jeweils unterschiedlichem Charakter, eine Nomadensteppe, die mich irgendwie an Raymond Feist erinnert, und die Scherbenlande von praktisch beliebiger Größe und Gestalt. Sehr cool (ich habe aber zugegebenermaßen auch eine Schwäche für von der Standardfantasy abweichende Settings - wer am liebsten
knights in shining armour spielt, wird hier vielleicht nicht so glücklich).
Was mir ein wenig fehlt, sowohl im Hinblick auf den zweiten Teil als auch als Standalone, sind praktikable Methoden, sich als Nichtechse zu bewegen, gerade in der Drakopole. Es gibt ein paar Hinweise auf Artefakte, die eine zeitweilige Verwandlung in Echsen ermöglichen - hier sollte man als SL mMn großzügig sein oder die Kooperationsbereitschaft der Echsen deutlich erhöhen. (Die Sachen, die die DC selber bereitstellt, erscheinen mir mäßig sinnvoll - ein Mantrake dürfte auffallen wie ein bunter Hund, und ein Skhrsech (oder so) nicht viel weniger).
Danach beginnt der Abenteuerteil mit der Suche nach Chr'Szess'Aich. Auffallend ist hier, daß die Autoren konsequent darauf verzichten, sich Dungeons selber auszudenken, und stattdessen alles einfach auf den SL abwälzen ("gestalten Sie eine spannende Suche"...), sowohl in A'Kuir als auch in Pyrdacors Pyramide (und überall sonst). Etwas konkreter könnte das schon sein. Das sind schließlich keine 08/15-Zwergenbingen oder Räuberhöhlen und erfordert einige Vorbereitung, die man auch hätte im Abenteuer leisten können. Man merkt die Platzprobleme deutlich - eine bessere Planung der Kamp... okay, ich hör' auf.
Der folgende Abschnitt, das eigentliche Kernabenteuer, hat mMn einen ziemlich computerspieligen Charakter (was kein Kritikpunkt sein soll; beim Spielen war das noch deutlicher als beim Nachlesen). (Den Vorlesetext S. 98/99 hätte ich übrigens gerne als Film.
) Das geht ganz klassisch los - die Drachen landen in Zze Tha, die Helden können mit allen reden und sich das Tagebuch mit Quests vollstopfen, die sie dann abarbeiten dürfen.
Die Helden müssen die versammelten Drachen
davon überzeugen, ihnen gegen Pardona beizustehen (oder neutral zu bleiben). Ausgearbeitet sind vier Subquests um diverse
Artefakte und Argumente, um die Drachen auf die eigene Seite zu bringen; weitere selbst ausgedachte Quests werden empfohlen.
Die verschiedenen Charaktere und Motive der Drachen samt Gefolge sind sehr gelungen; nur die beiden Riesenlindwürmer bleiben etwas blaß (auch weil ich nicht ganz verstehe, warum sie hier sein müssen). Die Perldrachenquest ist recht umfangreich ausgearbeitet, die anderen drei eher knapp - wie überhaupt vieles. Die diversen H'Chash'R und sonstiges Echsenzeugs spielte bei uns in dieser Phase keine Rolle mehr (was auch nach der Rückkehr der Drachen nicht unverständlich ist), und die Helden haben sich im Prinzip frei durch die Drakopole bewegt. Man kann das praktisch ins Unendliche vertiefen (das Verhältnis von Drachen und H'Chash'R thematisieren, überhaupt die Echsen stärker einbeziehen, außerdem kann noch Yalstene mitmischen, Pardonas Schergen eine größere Rolle übernehmen, und wenn man die Kampagne überarbeitet und selber Unterstützung mitbringt, wird's noch komplexer) - aber das muß der SL dann selber machen.
Der Drachenrat-Abschnitt ist trotz des geringen Platzes der stärkste des Abenteuerteils.
Bei der Drachenschlacht steht das Abenteuer natürlich vor dem Problem, daß die eigentlich nicht sinnvoll umsetzbar ist, zumal es eine ganze Reihe von Variablen gibt, die nicht vorhergesehen werden können (Fähigkeiten der Helden, vorherige Taten, Ausgang und Erfolg des Drachenrats, vorhandene nicht drachische Verbündete...) Da kommt wieder einiges an Arbeit auf den Meister zu.
In der Endschlacht ist das Dilemma der Kampagne am offensichtlichsten: Es wurde erstens mit zu niedrigen Helden angefangen (und wer
by the book und mit Lernzeiten und Lehrmeistern spielt, verschärft das noch, indem die Helden wenig Gelegenheit haben, ihre zugegebenermaßen nicht wenigen verdienten AP auszugeben). Und zweitens - es steht seit Band I fest, daß Pardona der Endgegner sein wird. Auf die Konfrontation hinzuarbeiten, hat man aber drei Bände lang versäumt (und stattdessen mit einem völlig sinnlosen
MacGuffin verplempert), und auch der vierte Band wird zur Hälfte für die Settingbeschreibung verwendet.
Es müssen also in einem halben Abenteuer leicht (oder stark) unterstufige Helden darauf getrimmt werden, einen der mächtigsten DSA-Antagonisten wo gibt zu besiegen. Das kann nur schiefgehen.
Mit den versammelten Drachen hätte man einen ernstzunehmenden Gegner für Pardona - dann gucken die Helden zu, wie die NSCs die Welt retten. In letzter Sekunde einen
deus ex machina aus dem Ärmel zu zaubern - auch nicht befriedigend. Die schließlich verwendete Lösung ist, nun ja, auch nicht das Gelbe vom Ei.
(Ein wenig halbherzig gesteht das Abenteuer auch ein, daß eine Konfrontation mit Pardona keine so tolle Idee ist und bietet die Möglichkeit, sie zu vermeiden - halbherzig, weil es an der Lösung letztlich nichts ändert, sondern der Kessel zum
deus ex machina wird). Es hilft der Sache nicht wirklich, daß in den Texten zum Ende Pardonas ausgerechnet gerade das Slapstickhafte der Szene herausgestellt wird...
Ein Wort zu den Wertekästen: Endlich ist mal, nach einem Jahrzehnt DSA4, jemandem aufgefallen, daß man die Eigenschaften eines NSC braucht, um auf seine Zauber und Talente würfeln zu können. Das betrifft die Werte im Abenteuerteil. Bei den anderen fehlen sie wieder mal - wenn man schon Leviatanim und Skhrs... einbaut, sollte man vielleicht eine ungefähre Orientierung angeben, in welchen Bereichen sich deren Eigenschaften so bewegen. Und zu Pardona wurde schon alles gesagt.
Fazit: Ein eigentlich ganz guter Band. Die Regionalbeschreibung macht einen guten Eindruck; Praxistest steht aus (insbesondere was die oben teilweise bemängelte Übersichlichkeit und Struktur angeht). Die Abenteuer sind auch ganz ordentlich (wenn auch sehr skizzenhaft), haben aber - wie schon viele ihrer Vorgänger - am Ende mit der katastrophalen Kampagne zu kämpfen. Auch Band IV braucht viel Zusatzarbeit vom Meister - immerhin diesmal, um das gebotene Gerüst mit Inhalt zu füllen, und nicht, um die gröbsten Schnitzer auszubügeln. Eins der exotischsten Settings, die Aventurien (im weiteren Sinne) zu bieten hat, wird hier in angemessener Form präsentiert.