Der Zorn des Bären ... ich habe dieses Abenteuer in der Vergangenheit in einschlägigen Foren gern als eines meiner drei Lieblingsabenteuer angegeben. Ich bin mir derzeit unsicher, ob dies noch immer der Fall ist, nichtsdestotrotz ist es wohl das für mich in einem positiven Sinne bedeutsamste Abenteuer. Dieser Status hat nichts mit Nostalgie und der damit einhergehenden Verklärung zu tun, das Abenteuer markiert schlicht einen Meilenstein, eine Kehrtwende, ein Erwachen in meiner Rollenspielkarriere - und dabei habe ich es nie gespielt. Genauso, wie in diesen Tagen allerorten zu vernehmen ist, wie entscheidend Sein und Werden von Gary Gygax für das eigene Leben gewesen sei - "Kein Rollenspiel - und keine Freundin
- ohne GG!" (eigtl übrigens eine äußerst schwache These zu Ursache und Wirkung) - betone ich, daß ich ohne dieses Abenteuer heute wahrscheinlich ganz anders zu Rollenspiel stünde. Dieses Abenteuer hat mich geprägt.
Ich hatte es gekauft, wie jedes andere Abenteuer auch. Doch schon beim Lesen veränderte sich meine Wahrnehmung des Rollenspiels radikal. Denn so etwas hatte es vorher - zumindest in meiner Wahrnehmungsreichweite - noch nicht gegeben. Inas Stil, die Stimmung einzufangen, dem Kleinen und dem Leisen einen wirklichen Platz in der Handlung einzuräumen, faszinierte mich grundlegend. Ich geriet so tief wie nie zuvor in eine Vorstellungswelt, ins Träumen, sah unsere Charaktere agieren - und fühlen. Heutzutage nennt man so etwas wohl Immersion oder immersives Spiel. Ich sah überall Neuland, ich entwickelte einen tollkühnen und schon grundsätzlich schwer umsetzbaren - konkret für unsere Gruppe de facto nicht durchsetzbaren - Plan, während des Spiels nicht aus der Rolle zu gehen. Und zwar ganz und gar nicht, kein bißchen, von A bis Z. Aber natürlich war das Abenteuer aufgrund dieses Vorhabens dazu verdammt, nie gespielt zu werden ...
Einen solchen Anspruch habe ich in den Folgejahren nie durchgesetzt oder auch nur verfolgt. Ich entdeckte andere Schwerpunkte und probiere mich ja auch gerade in der jüngeren Zeit an anderen Ansprüchen aus (zurück zu den Regeln, der Herausforderung, der Offenheit). Aber für den erweiterten Horizont des Denkbaren bin ich dem Abenteuer noch heute dankbar.
Wenn ich heute im Abenteuer lese, entdecke ich natürlich auch die eine oder andere Schwäche. Das Verhältnis der Baronin zu ihrer Zofe sehe ich nicht als solche, die Anregung, die kleinen Dinge genußvoll auszuspielen, sehe ich gar als Vorteil. Die Dorfstruktur Pervins hingegen erscheint mir nicht gerade passend für Sewerien, dieser Makel ist allerdings nicht gravierend. Natürlich soll man durch die Abenteuerlektüre dazu verleitet werden, die Spieler nicht von der Handlung abweichen zu lassen, das ist schade, und für ein aktuelles Abenteuer wollte ich derlei wirklich nicht wiederholt sehen. Im Grunde aber stimme ich Chris' Kritik voll zu: Aufbohren!, dann wird das Abenteuer zu einer rundum runden Angelegenheit.
Ich werde diesmal keine Punkte vergeben. Im Herzen sind es fünf, aber das ist mir für eine Bewertung ein zu schwaches Argument.