Europa in der Krise?

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StipenTreublatt
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Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von StipenTreublatt »

SpOn hat geschrieben:Iren stoppen Reform der EU

Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt, doch das Ergebnis wird immer klarer: Irlands Wähler haben den EU-Reformvertrag offenbar mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Jetzt kann er nicht in Kraft treten - Europa ist in der Krise.

(...)

SO KANN ES MIT EUROPA WEITERGEHEN
*Zweites Referendum in Irland
*Neuer EU-Vertrag
*Weiter mit dem Nizza-Vertrag
*Europa der zwei Geschwindigkeiten

(...)

Stattdessen stelle sich die Frage einer "Umgründung der Europäischen Union". Die 18 EU-Staaten, die die Verfassung ursprünglich wollten, könnten sie annehmen und zugleich alle vorhergehenden Verträge aufkündigen, sagte Schulz. Ein solches "Kerneuropa" ist allerdings hoch umstritten.

Allerdings forderte auch der außenpolitische Sprecher der CSU im Europaparlament, Bernd Posselt, eine "Neugründung der EU durch Deutschland, Frankreich und einige Kernstaaten". Basis hierfür müsse ein "starker und verständlicher EU-Verfassungsvertrag" sein, betonte Posselt am Freitag in München. Jeder bisherige EU-Staat solle dann frei entscheiden können, "ob er ohne Ausnahmeregeln bei einem weltweit durchsetzungsfähigen Europa mitmacht oder sich auf eine privilegierte Partnerschaft mit der künftigen EU beschränkt".
Also ich bin ja für ein Kerneuropa... eine EU bei der jeder alles blockieren kann funktioniert ja offensichtlich nicht (welch Überraschung!).

Wie seht ihr das?

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Robak
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Ungelesener Beitrag von Robak »

Das Problem begann schon damit, dass man die EU erweiterte bevor die Institutionen darauf ausgelegt waren.

Im konkreten Fall liegt die Schuld aber daran, dass niemand sich darum gekümmert hat den Iren zu vermitteln über was sie da eigentlich abstimmen.
Ich kann jene Iren die nicht bereite sind zu etwas Ja zu sagen, dass ihnen nie jemand erklärt hat gut verstehen.

Gruß Robak

Benutzer 3205 gelöscht

Ungelesener Beitrag von Benutzer 3205 gelöscht »

Die erste These von Robak kann ich voll und ganz unterschreiben. Dort war offenbar die Naivität der handelnden Personen in Konflikt mit ihrem Geltungsbedürfnis geraten. Schlechte Kombination...

Sie könnte vielleicht dadurch kompensiert werden, dass man das ganze neu aufsetzt. Und dabei die Fehler der Vergangenheit bei der Neuinstallation von EU 2.0 versucht zu vermeiden.

Die Gefahr besteht jedoch, dass bei dem dabei und dafür notwendigen Zerbrechen der bereits etablierten EU der durch sie gewährleistete Friedensstiftende Aspekt sowie die wohlstandsbringende Funktion (Binnenmarkt etc.) in Gefahr geraten. Und wieder innerhalb Europas Kleinstaatliche Konkurrenz entsteht. Ob der potentielle Schaden das Risiko des möglichen Nutzens rechtfertigt weiß ich spontan nicht.

Hinsichtlich der weiteren These von Robak, dass die Schuld darin liegt, den Iren nicht vermittelt zu haben, möchte ich aber doch entschieden widersprechen. Die Iren haben in den letzten Jahren in einer Weise von der EU profitiert, wie kaum ein anderes Land. Aus Sicht eines irischen EU-Bürgers gibt es zwei vertretbare Denkansätze, nämlich
  1. Die EU ist gut für mein Land und für mich. Also werde ich durch mein Abstimmungsverhalten die EU nicht in eine Krise bringen.
  2. Ich soll über etwas abstimmen, dass ich nicht verstehe. Das möchte ich nicht. Also informiere ich mich.
Nicht akzeptabel ist es jedoch, dass Erwachsene und angeblich mündige Bürger verlangen, dass man ihnen Wissen aufbereitet und bissfertig vorproportioniert. Und mit "Sanktionen" in Form von "Liebesentzug" rechnen muss, wenn man ihnen das Leben nicht noch mehr erleichtert.

\\// Lebe lang und erfolgreich
Cattivo

... it´s better to die on your feet than to live on your knees

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der_unbenannte
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Ungelesener Beitrag von der_unbenannte »

Was mich daran am meisten stört ist das übliche Wahlverhalten bei solchen Abstimmungen. Schlicht und ergreifend werden nämlich die nationalen Regierungen abgestraft, wenn es den Bürgern gerade passt.
Europa sollte aber nichts mit der Missgunst gegenüber der eigenen Regierung zu tun haben :rolleyes:

Sonst stimme ich Robak und Cattivo zu.
In meinen Augen müsste eigentlich beides geschehen. Die einen besser informieren und die anderen sich informieren lassen.

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Denderan Marajain
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Ungelesener Beitrag von Denderan Marajain »

Das Problem ist, dass die Souvernität doch schon mit dem Beitritt zu EU an sich erledigt war. Der Reformvertrag ändert nichts aber die Leute glauben das

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der_unbenannte
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Ungelesener Beitrag von der_unbenannte »

Das ist genau das, was Cattivo (hoff ich mal) und zumindest ich damit meinen, dass die Leute nicht informiert sind.

Der Lissaboner Vertrag hätte der Souveränität der Staaten sogar zugearbeitet und den Bürgern mehr Mitbestimmung ermöglicht.
Weiß aber keiner!

Und dann meinen irgendwelche Spezialisten, dass das an der "Hinterzimmerpolitk" liegt. Wer guckt den aber heute Tagesschau? Wer interessiert sich denn für Politik oder unsere Gesellschaft?

Ich kann das nur von meiner Generation sagen. Da is egal, was die Politker tun würden. Die Politikverdrossenheit meiner Mitschüler, Altersgenossen und Geschwister hat nichts damit zu tun, was "die da oben" machen, sondern nur mit dem eigenen Desinteresse, weil man dafür ja lesen oder zumindest arbeiten möchte, aber keine Belohnung erhält.
Und solche Menschen wählen dann bei sowas mit weils ja alle machen und hören auf den besten Demagogen, bzw. zeigen wieder einmal das der Mensch ein Gewohnheitstier ist und stimmen somit gegen Veränderungen.

Judas
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Ungelesener Beitrag von Judas »

M.E. ist Europa in einer wirklich tiefen Krise (in einer Krise sind wir schon länger), wenn jetzt in der üblichen Weise reagiert wird. Wenn jetzt etwas gewartet wird, man dann etwas 'nachbessert' und es dann noch einmal zur Abstimmung stellt. Das hat man schon nach den Abstimmungen in den Niederlanden und Frankreich gemacht. Etwas gewartet, leicht nachgebessert und dann ohne Volksabstimmungen durch die Parlamente gebracht (nur leider haben die Irren eine "dumme" Verfassung, da geht es ja nicht anders). Die ohnehin geringe Akzeptanz von Brüssel, was immer jeder einzelne sich darunter auch für ein Monstrum vorstellen mag, wird durch so etwas nur weiter sinken.

Daher halte ich auch die Reaktion von europäischen Regierungschefs und Spitzenpolitikern für vollkommen falsch. Es soll weiter gemacht werden wie bisher. Die Akzeptanz von Politik steigert man auf diese Weise sicher nicht. Bei der Europawahl im nächsten Jahr wird man dementsprechend auch die Quittung bekommen. Eine niedrige Wahlbeteiligung und ein "Abstrafen" der großen Parteien (wobei es in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach eh eine vorgezogene Bundestagswahl werden wird, findet sie doch nur gut drei Monate vorher statt).

Es gibt eine zunehmende Skepsis gegenüber der EU und ihren ohne Frage stark reformbedürftigen Institutionen. In meinen Augen hätte man das nach dem Scheitern der "EU-Verfassung" sehen müssen und sich die Zeit nehmen sollen in einem Neuen Konvent einen neuen Entwurf zu erarbeiten. Dann auch mit einer deutlich stärkeren Beteiligung der Legislative. Diese Chance hat man jetzt erneut und sollte sie auch nutzen, in der Hoffnung, dass es dann auch ein deutlich besseres Ergebnis gibt (denn zufrieden kann m.E. aus vielen Grünen mit dem aktuellen Vertrag, aber auch der "EU-Verfassung" nicht sein). Die EU wird deshalb nicht untergehen, auch wenn das Ego so manchen Spitzenpolitikers sicher leiden dürfte.

Was im Übrigen die Irren und ihr Nein betrifft. So verschieden die Kritik ist, es gibt schon Punkte die vor Ort eine Rolle gespielt haben. Man muss sie nicht teilen. Aber Gründe gab es schon, so das die Ablehnung nicht nur mit Unkenntnis oder einem Abstrafen der Landespolitikern zu begründen ist. So wurde eine Schwächung der kleinen Länder gesehen, etwa in dem man sein Kommissar verliert (was beim Aufbau der EU und ihrem Apparat auch ein Verlust von Einfluss ist). Auch diffuse Ängste spielen eine Rolle, etwa das man aufgrund der anderen Stimmengewichtung irgendwann ein Abtreibungsrecht akzeptieren muss, das diesen Namen auch verdient.

Ich finde es zu einfach, es auf Protest oder Unkenntnis zu schieben. Das ist sicher einfach und auch nicht neu, wenn man sich etwa vergleichbare Reaktionen bei guten Wahlergebnissen von NPD oder DVU ansieht. Man vergisst bei solchen Reaktion dann aber leider regelmäßig sich noch mit den eigentlichen Grünen auseinanderzusetzen und ist dann beim nächsten Mal umso überraschter, wenn es wieder ganz anders kommt, als man sich gewünscht hat.

Timothy Hunter
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Ungelesener Beitrag von Timothy Hunter »

Cattivo von Aravanadi hat geschrieben:Aus Sicht eines irischen EU-Bürgers gibt es zwei vertretbare Denkansätze, nämlich
Du hast dich da etwas verschrieben. Statt "Sicht eines irischen Eu-Buergers" wolltest du "meiner Sicht" schreiben. Dann stimmt die Aussage.
Cattivo von Aravanadi hat geschrieben:Nicht akzeptabel ist es jedoch, dass Erwachsene und angeblich mündige Bürger verlangen, dass man ihnen Wissen aufbereitet und bissfertig vorproportioniert.
Doch ist es. Das machen wir alle dauernd so, wenn es nicht unser Fachgebiet ist. Und der Lissabon-Vertrag besteht aus knapp unter dreihundert Seiten, bei denen man manchmal das Gefuehl hat, dass Unverstaendlichkeit das Ziel war.

Das beste sind allerdings die Reaktionen mancher Politiker auf den irischen Volksentscheid. Eine zweite Abstimmung muss her. Ja, ne iss klar und wenn die wieder misslingt muss wohl eine dritte her.

Heldi
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Ungelesener Beitrag von Heldi »

Stipen hat geschrieben:Europa in der Krise?
Europa in der Krise!

Ich war gestern ziemlich geschockt. Ich persönlich spüre keine innere Bindung an "meinen" Nationalstaat, was es mir wohl viel leichter macht ein leidenschaftlicher Europäer zu sein. Ich halte ein "immer engeres und geeinteres" Europa für die Zukunftschance unseres Kulturkreises und eine Vision einer neuen Friedensordnung.

Das scheitern dieser zweiten Verfassung (das war sie defacto, auch wenn wir sie nicht mehr so genannt haben) verhindert, dass sich genau jene Dinge ändern, die kritisiert werden. Das Parlament wäre zur beherrschenden (jedenfalls: beherrschenderen) Institution im Gesetzgebungsverfahren geworden, die Komission in einem ersten Schritt verkleinert und die Kompetenzen erweitert worden.

Nach dem Referendum ist das nun (zunächst) nicht mehr möglich. Nach dem Vertrag von Nizza war das ebenso; die Iren hatten dagegen gestimmt. Damals wie heute hatte das keinen sinnvollen Grund, der Wahlkampf in Irland war nach allem was man hört geradezu grotesk. Hauptsächlich waren es wohl wieder (wie damals in Frankreich, als das Plebiszit zu einer Anti-Chirac-Kundgebung missbraucht wurde; und nicht von den Parteien, sondern vom Stimmvieh ganz selbstständig) Gründe, die nicht mit dem Vertrag konkret zusammenhängen. Unabhängig davon, dass es hier Aufklärungsfehler gegeben haben mag, muss sich wirklich entrüsten darüber, dass die Menschen sich nicht selbständig aktiv informieren. Die Anforderungen an Politiker dürfen auch nicht zu hoch angesetzt werden. Ich jedenfalls bin sehr skeptisch, ob nicht auch bei uns die Plebejer einer unsinnigen anti-Europa-Kampagne aufsitzen würden. Reine Themenfragen kann man dem sogenannten Souverän einfach auch im 21. Jahrhundert nicht anvertrauen; die Vorgänge der letzten Jahren sprechen da auch deutlich dafür, dass Demokratie in unserem Kulturkreis zu überhöht wird. Mit Abstimmung wie dieser stellen sich jedenfalls Zweifel an ihrer Überzeugungskraft.

Das Problem ist, dass man an dem Vertragswerk absolut nichts ändern kann, bevor man ihn ein zweites Mal dem Volk vorlegt, da ansonsten der Ratifizierungsprozess neu beginnen müsste und auch die Paraphierung neu erfolgen müsste. Dazu wird es nicht kommen! Entweder gelingt es, den Druck auf Irland so zu erhöhen, dass das irische Stimmvieh panisch auf Ja einschwenkt oder dieses Vertragswerk und seine Reformansätze werden in den nächsten Jahren keine Wirklichkeit werden.

Die Frage ist nun, ob dies seinerseits eine neue Chance für ein Kerneuropa bedeuten würde. Es gibt im derzeitigen EU-Vertrag einen Passus über eine engere Zusammenarbeit einzelner MItgliedsstaaten, das ist mit dem "Kern-Europa" gemeint. Potentielle Kernstaaten wären sicherlich Frankreich, Deutschland, Belgien, Österreich und der (zukünftige) Europameister. Diese Staaten sind überhaupt die Vorreiter der europäischen Bewegung und in ihrem Kern könnte sich eine noch sehr viel radikalere Vereinheitlichung ergeben. Wie stark und wie schnell das gehen würde kann man schlecht sagen. Das Endziel von "Vereinigten Staaten von Europa" würde sich aber mit so einer Kleingruppe sehr viel schneller und einfacher erreichen lassen als mit der derzeitigen Union von Irland bis Bulgarien und Portgual bis Finnland.

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Ungelesener Beitrag von der_unbenannte »

@Heldi

Auch wenn ich (Objektiv) nicht weiß, ob ein Bundestaat in Europa anstrebenswert ist (subjektiv wünsche ich mir auch die Vereinigten Staaten von Europa) muss ich dir in vielen Punkten zustimmen, auch wenn du die vox populi mMn zu sehr als vox rindvieh siehst.

Für mich ist allerdings ebenso wie für dich Fakt, dass dort nicht für, gegen oder überhaupt über Europa abgestimmt wurde, sondern man wieder einmal der Panikmache gehorchte.

Ich bin überzeugter Patriot und trotzdem Europafan, weil ich solidarisch denke und mir sicher bin, dass von einem engeren Europa alle Mitgliedsstaaten und auch deren Bürger profitieren.

Ich könnte allerdings verstehen, wenn sich jemand gegen einen Bundestaat ausgesprochen hätte, aber wie du schon gesagt hast, enthält der Lissaboner Vertrag nur lange gewünschte Verbesserungen und erhöht die Transparenz der EU für die Bürger.

Ich verstehe nicht, wie man dagegen sein kann.

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Torvon
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Ungelesener Beitrag von Torvon »

Kerneuropa.

Es geht um Fortschritt, und wer da nicht mitziehen möchte, darf das natürlich selbst entscheiden. Diese Entscheidung hat dann aber eben auch Konsequenzen.

Ich finde es wirklich schlimm, dass die Iren sich gegen die EU Verfassung entschieden haben, und ich bin mir sicher, dass da viele aus (in der Situation völlig nebensächlichem) Nationalstolz für nein gestimmt haben, obwohl es darum ja garnicht geht.

Die Konsequenzen für Europa sind massiv - wir kommen nicht wieter, wen wir nicht anfangen, demokratisch zu werden, sondern wenn immer alle Länder irgendwas zustimmen müssen. Europa muss umdenken.

ta-ta
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StipenTreublatt
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Ungelesener Beitrag von StipenTreublatt »

Das Problem liegt doch eigentlich auch im Abstimmungsmodus. Denn eigentlich haben die Iren garnicht gegen den Vertrag gestimmt, sondern nur weit weniger als 50% der Bevölkerung. Der Rest war dafür, oder es war ihm nicht wichtig genug, um abstimmen zu gehen. Eine Wahlbeteiligung von 45% ist ja nun wirklich lächerlich. Und wenn 55% eben nicht wählen gehen scheint der Vertrag sie nicht genug zu stören um mit Nein zu stimmen, womit man eigentlich davon ausgehen sollte dass der Vertrag angenommen wurde.

Das ist doch eben das Problem mit "Ja/Nein"-Abstimmungen: Gegen etwas zu sein ist immer einfacher als Für etwas zu sein. Das ist wohl auch der Grund warum in demokratischen Wahlen eigentlich immer nur eine Auswahl an Kandidaten angeboten wird, für die man stimmen kann.

Eigentlich hätte man die Wahl in Irland doch folgendermaßen gestalten müssen:
1. Wahlmöglichkeit: Vertrag von Lissabon
2. Wahlmöglichkeit: Vertrag von Nizza

Dann noch auflisten wo die Unterschiede liegen und die Leute können sinnvoll abstimmen.

Aber einfach eine Wahlmöglichkeit "Nein"... da denkt der Normalbürger sich doch, fein, habe die letzten Jahre so viel Schlechtes über die Bürokratie in Brüssel gehört, dann stimme ich doch einfach mal gegen die EU.

Judas
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Ungelesener Beitrag von Judas »

StipenTreublatt hat geschrieben:Das Problem liegt doch eigentlich auch im Abstimmungsmodus. Denn eigentlich haben die Iren garnicht gegen den Vertrag gestimmt, sondern nur weit weniger als 50% der Bevölkerung. (...)
Es zählen die Stimmen, die abgegeben worden sind. Die anderen haben nicht zu interessieren. Sie haben ihr Recht nicht ausgeübt und damit, auch wenn sie persönlich vielleicht anders denken, zu akzeptieren, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen den Vertrag ablehnt.

Ich finde dies rum deuten oder Überlegungen jetzt nur schön Druck auf die Irren auszuüben, ist falsch. Alle Staaten müssen den Vertrag ratifizieren, in Irland (was ich sehr begrüße) ist hierzu das Volk zwingend zu befragen. Das hat jetzt entschieden, wie es entschieden hat, damit muss man nun umgehen. Daher, wie schon gestern geschrieben, man sollte es noch einmal ganz von vorne versuchen. In einem Prozess der sich dann auch der Frage annimmt, wohin es eigentlich mit der EU gehen sollen. Hier sind die Ansichten in vielen Ländern doch sehr unterschiedlich.

In diesem Zusammenhang sind dann sehr unterschiedliche Fragen zu klären. Ist man weiter in erster Linie eine Wirtschaftsunion oder will man sich etwa auch stärker um Fragen der Sozialpolitik bemühen (und gerade hier gibt es doch sehr unterschiedliche Ansichten). Aber auch welche "Werte" eine EU tragen und verbinden sollen, ist nicht bis ins Details klar, wird es m.E. auch nie.

Während in Malta etwa eine Scheidung nicht möglich ist, haben Polen und Irland ein unterirdisches Abtreibungsrecht haben (in beiden gab es Fälle wo trotz einer entsprechenden Indikation - nach dortigen Landesrecht - eine Abtreibung nicht möglich war oder vom Staat geduldet wird, das dies nicht möglich ist). Das sind Unterschiede die wohl auch immer bestehen werden und für mich bedeuten, dass man zwar im Endeffekt eine bessere Abstimmung in vielen Bereichen hinbekommen wird, aber nie "Vereinigten Staaten von Europa" hinbekommen wird.

Heldi hat geschrieben:Das Endziel von "Vereinigten Staaten von Europa" würde sich aber mit so einer Kleingruppe sehr viel schneller und einfacher erreichen lassen als mit der derzeitigen Union von Irland bis Bulgarien und Portgual bis Finnland.
Für mich ist das z.B. nicht das Ziel, ich bin sogar strikt dagegen. Stärkere Abstimmung und Koordinierung, ja. Aber kein Fernziel eines irgendwie gearteten europäischen Bundesstaates. Aber das ist dann auch schon eine andere, eigene Diskussion.

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StipenTreublatt
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Ungelesener Beitrag von StipenTreublatt »

Judas hat geschrieben:
StipenTreublatt hat geschrieben:Das Problem liegt doch eigentlich auch im Abstimmungsmodus. Denn eigentlich haben die Iren garnicht gegen den Vertrag gestimmt, sondern nur weit weniger als 50% der Bevölkerung. (...)
Es zählen die Stimmen, die abgegeben worden sind. Die anderen haben nicht zu interessieren. Sie haben ihr Recht nicht ausgeübt und damit, auch wenn sie persönlich vielleicht anders denken, zu akzeptieren, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen den Vertrag ablehnt.
Und ich habe gerade dargelegt warum mMn dieses Abstimmungsverfahren blödsinnig ist. Und ja, es gibt Abstimmungen, die schon von der Fragestellung her unsinnig sind. Beispiel: "Willst du, dass mehr Ausländer nach Deutschland kommen?" Auswahlmöglichkeiten "Ja", "Nein", (Enthaltung). Wenn nun die Mehrheit (der abgegebenen Stimmen) für "nein" stimmt, ist das dann ein Zeichen dafür dass die Mehrheit der Deutschen einen Aufnahmestopp für Ausländer will? Nein, zumindest wenn der Großteil der Abstimmungsberechtigten sich enthalten.

Das Argument "Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet halt" ist mMn in diesem Kontext eben unsinnig. Schlechte Fragestellungen erzeugen halt ein verzerrtes Ergebnis.

Überhaupt kann man mit dieser Argumentation über allen möglichen Mist abstimmen lassen und diese unsinnigen Ergebnisse dann als Rechtfertigung nehmen. Beispiel: "Sollen Politiker höhere Diäten erhalten?" Abstimmung wird zu "nein" ausfallen. Einfach weil diejenigen, die "den da oben" eins auswischen wollen, zur Wahl rennen, und diejenigen, die es nicht stören würde, zuhause bleiben.
"Soll die Einkommenssteuer gesenkt werden?" Abstimmung wird zu "ja" ausfallen. Niedrigere Steuern hat jeder gern. Wo das fehlende Geld im Haushalt dann herkommt, darüber muss der einfache Wähler sich ja dann keine Gedanken machen. Hauptsache mal mit "nein" oder "ja" gestimmt.
Genauso ist es jetzt bei EU-Vertrag. Super, wir haben mit "nein" gestimmt. Und jetzt? Tja, glücklicherweise müssen diejenigen, die so gestimmt haben, darüber ja keine Gedanken machen.

Deswegen mein Gedanke, keine Ja/Nein-Abstimmung zu machen, sondern nur über Alternativen abstimmen zu lassen. Denn im Prinzip wählt man mit "Nein" ja auch eine Alternative, bekommt aber leider nicht vor Augen geführt wie diese dann aussieht. Nämlich z.B. dass die vorigen EU-Verträge von den restlichen Ländern aufgekündigt werden, und Irland dann plötzlich vor der Tür steht. Oder eben dass mit dem Nizza-vertrag weitergewurstelt wird und die EU eben dadurch in Bälde in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Aber darüber haben sich die Staatschefs eben keine Gedanken gemacht. Allein dass gestern im Spiegel stand dass die sich keinen Alternativplan für den Fall, dass der Vertrag in der Abstimmung in Irland durchfällt, zurechtgelegt haben, ist schon arm. Die hätten den Leuten ganz klar sagen müssen, "wenn ihr mit nein stimmt, sieht Irlands Zukunft folgendermaßen aus:..."
Aber so war es natürlich einfach, mal mit "nein" abzustimmen. Hat ja keine Konsequenzen. Außer dass man sich freuen kann "den da oben" mal in die Suppe gespuckt zu haben.
Robak hat geschrieben:Das Problem begann schon damit, dass man die EU erweiterte bevor die Institutionen darauf ausgelegt waren.
Definitiv. Das war ein sehr dummer Fehler.

edit: Achja, anhand der vorliegenden Zahlen (Wahlbeteiligung 45%, "nein"-Stimmen 53%, Stimmberechtigte 3 Mille) habe ich mal abgeschätzt wieviele Iren wohl etwa mit "nein" gestimmt haben (vielleicht wird ja auch mal irgendwo eine absolute Zahl genannt?): 720.000. Das ist im Vergleich zur Bevölkerung der EU ein Witz. Europa sollte sich davon nicht aufhalten lassen.

Wobei ich mir bei den 3 Mille Stimmberechtigten überhaupt nicht sicher bin. Vielleicht weiß da ja jemand bessere Zahlen.

@Torvon: Zustimmung, so sehe ich das auch.
Zuletzt geändert von StipenTreublatt am 14.06.2008 13:26, insgesamt 1-mal geändert.

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der_unbenannte
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Ungelesener Beitrag von der_unbenannte »

Judas hat geschrieben: Alle Staaten müssen den Vertrag ratifizieren, in Irland (was ich sehr begrüße) ist hierzu das Volk zwingend zu befragen.
Das sehe ich halt anders. Die heutigen Fragen und gerade der Vertrag sind keine Fragen, der politischen Einstellung, sondern eine Frage der Notwendigkeit.

Plebiszite sind mMn in einer hochgradig technokratischen Welt in vielen Bereichen nicht mehr sinnvoll oder gar möglich, weil die Fragen mit denen man sich beschäftigt nur noch von Spezialisten richtig bewertet werden könnnen.

Natürlich machen auch diese Fehler, aber immerhin agieren sie aus meiner Sicht immer sinnvoller, als es für die breite Masse möglich wäre.

Meines Wissens nach hat die jetzige irische Regierung auch nie einen Hehl über ihre Unterstützung der EU gemacht, also würde es mMn reichen, wenn das Parlament den Vertrag ratifiziert, das vom Volk für genau solche Aufgaben bevollmächtigt wurde.

Eulenspiegel
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Ungelesener Beitrag von Eulenspiegel »

Judas hat geschrieben:Während in Malta etwa eine Scheidung nicht möglich ist, haben Polen und Irland ein unterirdisches Abtreibungsrecht haben
[...]
und für mich bedeuten, dass man zwar im Endeffekt eine bessere Abstimmung in vielen Bereichen hinbekommen wird, aber nie "Vereinigten Staaten von Europa" hinbekommen wird.
Schau dir mal die "Vereinigten Staaten von Amerika" an: Dort gibt es Staaten, in denen die Todesstrafe erlaubt ist und andere Staaten, in denen sie verboten ist.
Auch in anderen Bereichen gibt es extreme Unterschiede. (zum Beispiel was die Ehegesetze angeht.)

Von daher würde ich nicht sagen, dass so eine Unterschied in Scheidung oder Abtreibung ein "Vereingte Staaten von Europa" verhindern würde.

Clemens
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Ungelesener Beitrag von Clemens »

Die EU erzeugt eh nur mehr Probleme als sie löst. Ich bin froh über jede Gelegenheit, diesen Moloch daran zu hindern noch mehr Macht an sich zu reissen. Meiner Meinung nach wäre eine Freihandelszone völlig ausreichend, da wären alle vorteilhaften Dinge der EU drinnen, ohne die ganzen Probleme.
Machtzentralisation führt auf Dauer immer - auf die ein oder andere Art zu bösen Fehlentwicklungen.

Eulenspiegel
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Ungelesener Beitrag von Eulenspiegel »

Clemens hat geschrieben:Die EU erzeugt eh nur mehr Probleme als sie löst.
Was für Probleme siehst du denn?
Also als Vorteile sehe ich den Binnenmarkt, die einheitliche Währung und die Möglichkeit, ohne Passkontrolle in Nachbarländer zu fahren.
Ich bin froh über jede Gelegenheit, diesen Moloch daran zu hindern noch mehr Macht an sich zu reissen.
Tja, bloß ging es in dem Vertrag nicht darum, der EU mehr Macht zuzugestehen, sondern in dem Vertrag ging es darum, die EU teilweise zu entmachten. (Bzw. das EU-Komissariat wird entmachtet und das demokratisch gewählte EU-Parlament bekommt mehr Kompetenzen. - Aber es ging in dem Vertrag nie darum, Souveränität der Staaten an die EU weiterzugeben oder mehr Bürokratie einzuführen. (Eher, das ganze unbürokratischer zu gestalten.))
Meiner Meinung nach wäre eine Freihandelszone völlig ausreichend, da wären alle vorteilhaften Dinge der EU drinnen, ohne die ganzen Probleme.
Die Freihandelszone ist allerdings der Teil der EU, der den größten Rattenschwanz an Bürokratie nach sich zieht.
Imho sind die einheitliche Währung und die verbesserte Zusammenarbeit bzgl. der Strafverfolgung ebenfalls große Vorteile.
Und wenn in außenpolitischen Fragen ganz Europa mit einer Stimme spricht, fällt das auch mehr ins Gewicht, als wenn da jeder Staat für sich alleine spricht.
Machtzentralisation führt auf Dauer immer - auf die ein oder andere Art zu bösen Fehlentwicklungen.
Stimmt, man sollte wieder den Freistaat Bayern ausrufen und Preußen sollte neu gegründet werden und sich ebenfalls von Deutschland abspalten.
Der Rheinbund sollte sich ebenfalls wieder abspalten und einen souveränen Staat bilden.

Wo ich dir teilweise zustimme ist, dass Zentralisierung zu Fehlentwicklungen führt. Aber ein förderales System bzw. ein Staat nach dem Subisidiaritätsprinzip bietet imho viele Vorteile.

Benutzer 3205 gelöscht

Ungelesener Beitrag von Benutzer 3205 gelöscht »

Clemens hat geschrieben:Die EU erzeugt eh nur mehr Probleme als sie löst.
Tut sie das?

Die EU hat zu der längsten Friedensperiode in Europa seit mindestens 1.000 Jahren geführt. Und zu Wohlstand in zuvor nicht gekannter Größe.

Ein Binnenmarkt ohne Regeln bedeutet ungezügelte Konkurrenz. Das führt zu einer Herrschaft der niedrigsten Steuern, der niedrigsten Sozialstandarts und der niedrigsten Umweltauflagen. Die folgen auf die beteiligten Gesellschaften kann man sich leicht ausmalen. Wer könnte so etwas wirklich wollen?

Die EU ist sicherlich nicht das Beste, was man sich vorstellen kann. Aber aus dargestellten Gründen bin ich der Auffassung, dass man sich die Sache viel zu leicht macht, wenn man einfach auf die EU schimpft. Oder einen Vertrag, den man für zu kompliziert hält um ihn zu verstehen.

Hat jemand von euch, der ein Nicht-Jurist ist, bereits einmal ein internationales Abkommen gelesen? Und es als angenehm lesbar empfunden? Was erwartet Ihr? Ein Lehrbuch? Angenehme Prosa? :rolleyes:

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der_unbenannte
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Ungelesener Beitrag von der_unbenannte »

Eulenspiegel hat geschrieben: Tja, bloß ging es in dem Vertrag nicht darum, der EU mehr Macht zuzugestehen, sondern in dem Vertrag ging es darum, die EU teilweise zu entmachten. (Bzw. das EU-Komissariat wird entmachtet und das demokratisch gewählte EU-Parlament bekommt mehr Kompetenzen. - Aber es ging in dem Vertrag nie darum, Souveränität der Staaten an die EU weiterzugeben oder mehr Bürokratie einzuführen. (Eher, das ganze unbürokratischer zu gestalten.))
[...]
Aber ein förderales System bzw. ein Staat nach dem Subisidiaritätsprinzip bietet imho viele Vorteile.
Allgemein, aber besonders in diesen Punkten stimme ich dir voll zu. Die Bürger haben gegen eine Reform gewählt, die Effizienz und Transparenz schaffen sollte.
Weiterhin wurde in VvL durch die Hervorherbung der Subsidiarität erstmals die Möglichkeit der Rückübertragung von EU-Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten geschaffen. Darüber sollten Gegner einer Bundestaat ähnlichen EU eigentlich erfreut sein.
Eulenspiegel hat geschrieben: Und wenn in außenpolitischen Fragen ganz Europa mit einer Stimme spricht, fällt das auch mehr ins Gewicht, als wenn da jeder Staat für sich alleine spricht.
Übrigens mein absolutes Lieblingsargument, wenn die Kritik von der rechten Seite der Gesellschaft kommt.
Ich bin überzeugter Patriot, aber viele "deutschgesinnte" Mitbürger scheinen noch nicht erkannt zu haben, dass die Realität für unsere "große Nation" schon bald ziemlich schlecht aussehen könnte.
Wenn die europäischen Staaten es nicht in diesem Jahrhundert hinkriegen geschlossen auf der Weltbühne zu operieren, sehen wir meiner Meinung - und der vieler Experten - nach ziemlich alt aus.
Cattivo hat geschrieben: Hat jemand von euch, der ein Nicht-Jurist ist, bereits einmal ein internationales Abkommen gelesen? Und es als angenehm lesbar empfunden? Was erwartet Ihr? Ein Lehrbuch? Angenehme Prosa?
Das ist aber eine Sache, die viele Menschen scheinbar nicht verstehen wollen. Sie lassen sich zwar von teilweise mehreren Juristen beraten, von Buchhaltern ihre Geschäfte machen und von Steuerberatern ihre Steuererklärung ausfüllen.
Wenn Politiker aber dann anfangen Politik zu machen, schreien plötzlich alle, weil ihnen das zu intransparent ist.

Trotzdem würde ich ab und an mal erwarten, dass gewisse politische Entscheidungen den Menschen besser beigebracht werden, da es auch durchaus viele Menschen gibt, die nicht so gebildet sind, sowas in Fachsprache auf Anhieb zu verstehen.
Da sind aber nicht nur die Politiker, sondern auch die ewig meckernden (is manchmal auch positiv) NGO´s und die Medien in der Verantwortung.

Gerade die letzten beiden Gruppen nehmen diese Aufgabe aber so gut wie nie wahr.

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Talron
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Ungelesener Beitrag von Talron »

@Heldi
Ich war gestern ziemlich geschockt. Ich persönlich spüre keine innere Bindung an "meinen" Nationalstaat, was es mir wohl viel leichter macht ein leidenschaftlicher Europäer zu sein. Ich halte ein "immer engeres und geeinteres" Europa für die Zukunftschance unseres Kulturkreises und eine Vision einer neuen Friedensordnung.
Es wird mMn nur ein Europa der Nationen geben können, keine Nation Europa. Die Idee eines geeinten Europas, als Christliches Abendland wäre u.U unter Karl dem Großen möglich gewesen unter Napoleon vielleicht noch ein geeintes Europa möglich gewesen.

Das ganze EU-Parlament lässt sich doch unter dem Satz zusammenfassen: "Will dich im eigenen Land keiner mehr sehen, dann musst du wohl nach Brüssel gehen."

Fazit: Gemeinsamer Binnenmarkt: Ja. Wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit und gemeinsame Forschung: Ja.( Und selbst hier meint Deutschland mit dem ausstieg aus der Kernenergie eine Sonderrolle spielen zu müssen), Gemeinsame Politik: Vergiss es. (Die Interessen liegen einfach viel zu weit auseinander. Eine Demokratisierung würde die kleinen Staaten in der Bedeutungslosigkeit versinken lassen. Damit würden Deutschland, Frankreich, Italien und England die Entscheidungen treffen und der Rest hätte zu folgen. Klar würde man das gerne in Paris und Berlin so sehen, doch ich kann verstehen, dass einige dagegen sind)

Sehr schön hat man es beim Thema Irakkrieg gesehen. Deutschland und Frankreich haben eine Linie beschlossen und alle anderen als Spalter bezeichnet. (Obwohl es die Mehrheit war.)

Wenn die EU wirklich mit dem Ziel angelgt worden wäre Europa zu einigen, hätte man sie nicht so schnell erweitert. Man hätte eine starke Grundstruktur aufbauen müssen. Das war aber nie der Plan und nie die Absicht. So diente der Ministerrat beispielsweise seit jeher dazu, dass die Herrn Minister eines Ressorts sich gegen Minister anderer Ressorts im eigenen Land durchsetzen können, obwohl sie national schon gescheitert waren.

@Cattivo von Aravanadi
Die EU hat zu der längsten Friedensperiode in Europa seit mindestens 1.000 Jahren geführt. Und zu Wohlstand in zuvor nicht gekannter Größe.
Ach und ich dachte, das wäre die Nato. Aber klar, wenn der Balkan nicht zu Europa zählt stimmt wenigstens die Friedensperiode (fast). Das hat aber nichts mit der EU zu tun. Es gab da so was, dass nannte sich Kalter Krieg und dann gibt es da noch so Dinger, die nennen sich Thermonuklearwaffen. In der EU den Grund für den Frieden zu sehen, halte ich für etwas gewagt.

Nur ein kleiner Historischer Ausflug: Hitler ist auch aus dem Völkerbund ausgetreten, bevor er den Krieg begann.

Die Folgerung ist eher: Es gab keine (militärischen) Konflikte in Europa, daher gibt es noch die EU. Und nicht: Es gibt die EU und daher gibt es keine (militärische) Konflikte in Europa. (Wobei auch das noch etwas nett ist, denn (militärische) Konflikte gab es genug. Nur nicht zwischen 2 Staaten der EU)

Clemens
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Ungelesener Beitrag von Clemens »

Ja, da muss ich zustimmen. Ein einiges Europa ist nicht drin.
Man muss sich ja nur mal anschauen was von den ganzen deutschen Fussballbauern kommt, wenn in der EM mal Holland oder Italien spielt (oder England gar vorher ausscheidet).

Heldi
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Ungelesener Beitrag von Heldi »

Europa ist spätestens seit der Gründung der EU neben der EG durch den Maastrichter Vertrag viel mehr als eine Wirtschaftszone. Fraglich hat schon der durch die EGV vermittelte Binnenmarkt einen gewaltigen Einfluss auf den Frieden und die Kooperation der europäischen Staaten gehabt, weil sie durch die Verflechtungen des Binnenmarkt voneinander abhängig und aufeinander bezogen waren.

Aber der Fortschritt, der durch den Maastrichter Vertrag hinzugetreten ist, d.h. die politische Kooperation, verbunden auch mit weitreichenden Rechtsetzungskompetenzen hat zu einer emotionalen Kooperation geführt, die immer weniger zu leugnen ist. Fraglos sind die nationalistischen Anflüge, die im Umfeld von Sportereignissen oder Verteilungswettkämpfen auftreten kleine Rückschläge, doch haben selbst sie an Intensität verloren. Die friedensstiftende Wirkung der Union zu leugnen ist grotesk und verdient keine Antwort. Es gab im Gebiet der Union nicht einmal ernste politische Spannungen! In 50 Jahren!

Die Vision der Vereinigten Staaten ist daneben auch mehr eine gute Hoffnung als eine klar erkennbare Entwicklungslinie. Sie verspricht einen Kulturkreis zu einen, der eine Vision für die menschliche Zukunft sein könnte. Es mag (noch) nationalistische Vorbehalte gegen solche Vereinigungen geben, aber ich jedenfalls habe nie verstanden, warum mir ein Sachse oder ein Bayer oder ein Nordfriese irgendwie näher stehen sollte als ein Wallone oder Elsässer.

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der_unbenannte
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Ungelesener Beitrag von der_unbenannte »

Insbesondere weil die "deutschen Fußballbauern" ja nicht einmal friedlich gegen die Nachbarstadt (Dresden-Leipzig) spielen können.

Ich kann Talrons Ansichten zwar durchaus nachvollziehen, aber in meinen Augen haben wir gar keine andere Wahl.
Interessanterweise sind ja eigentlich aller europäischen Außenminister und selbst die großen Parteien für politische Kooperation und selbst die Linke ist nicht gegen Europa, sondern will nur, dass im Vertrag auch Soziales behandelt wird.
Talron hat geschrieben:Sehr schön hat man es beim Thema Irakkrieg gesehen. Deutschland und Frankreich haben eine Linie beschlossen und alle anderen als Spalter bezeichnet. (Obwohl es die Mehrheit war.)
Und hier sieht man ziemlich deutlich, dass wir eine geeinte EU brauchen.
Was konnten wir denn auf der Weltbühne machen? Und was werden wir bei zukünfitgen Konflikten für eine Rolle spielen, wenn wir nicht konsequenter und geschlossen für unsere Ziele eintreten?
Ich glaube, dass die meisten Politiker das kapiert haben und jetzt müssen wir langsam mal ans Volk denken.

Konrad Adenauer wusste auch, dass wir eine Armee brauchen um international handlungsfähig zu sein und uns von der UdSSR nicht vollkommen unterdrücken zu lassen.
Hätte 1949 keiner akzeptiert. Keiner hätte geglaubt, dass Frankreich das zulässt und niemand in der Bevölkerung hätte dem zugestimmt. Aber die Notwendigkeiten lagen damals auf der Hand und dann hat man es durchgezogen.
Die EVG ist auch gescheitert, heraus kam ein Beitritt zur NATO und die EWG.

Heldi
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Ungelesener Beitrag von Heldi »

Nebenbeiwäre auch schon die Europahymne alleine einen europäischen Staat wert.

Judas
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Ungelesener Beitrag von Judas »

In der Kürze der Zeit die ich habe, nur zu einigen Punkten die angesprochen worden sind. Daher habe ich sicher etwas übersehen oder bin etwas sprunghaft.

Erhebungen in der Schweiz zeigen, dass direkte Demokratie sehr wohl ein Mittel der Politikgestaltung sind, welches von den Bürgen in vernünftiger Weise ausgeübt wird. Auch wenn es oft nur um Ja oder Nein geht.
StipenTreublatt hat geschrieben:(...) 720.000. Das ist im Vergleich zur Bevölkerung der EU ein Witz. Europa sollte sich davon nicht aufhalten lassen (...)
Damit wird in meinen Augen sehr deutlich, wo die Angst der kleineren Staaten und der dortigen Bevölkerung liegt. Sehr überspitzt heißt das doch, egal wie ihr das seht, ihr seit ja nur wenige, wir machen das eh, wie wir es wollen.
der_unbenannte hat geschrieben:Plebiszite sind mMn in einer hochgradig technokratischen Welt in vielen Bereichen nicht mehr sinnvoll oder gar möglich, weil die Fragen mit denen man sich beschäftigt nur noch von Spezialisten richtig bewertet werden könnnen.
Auch hier, ohne Frage überspitzt, heißt das für unsere Demokratie, daß man nur noch alle 4 oder 5 Jahre wählen soll und das war es dann? Ansonsten ist es Sache der Technokraten zu entscheiden? Aber auch die Politiker, die allzu oft nicht vom Fach sind, sollten sich an das halten, was die Fachleute in den Ministerien und der Verwaltung vorgeben? Das entspricht zumindest nicht meinem Verständnis eines demokratischen Staates und auch nicht der Gewaltenteilung.


Was den Gedanken von "Vereinigten Staaten von Europa" betrifft, so wollte ich im Übrigen, darauf hinaus, daß die Unterschiede in den einzelnen Staaten zu groß sind, als das ich einen solchen "Bundesstaat" für realistisch hielte. In den USA mit all ihrer Vielfalt gibt es m.E. hingegen jedoch Ideale oder grds. Übereinstimmungen über den Staat und die Gesellschaft, die das Land einen. Das sehe ich in Europa nicht in dem Maße.

Ich sehe etwa auch nicht, daß wir jemals eine wirklich abgestimmte Außenpolitik hinbekommen werden. Etwa die Politik in Afrika, hier haben GB und Frankreich ganz andere Interesse als die BRD und treten beide auch ganz anders in Erscheinung.

Clemens
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Ungelesener Beitrag von Clemens »

der_unbenannte hat geschrieben:Und hier sieht man ziemlich deutlich, dass wir eine geeinte EU brauchen.
Was konnten wir denn auf der Weltbühne machen? Und was werden wir bei zukünfitgen Konflikten für eine Rolle spielen, wenn wir nicht konsequenter und geschlossen für unsere Ziele eintreten?
Ich glaube, dass die meisten Politiker das kapiert haben und jetzt müssen wir langsam mal ans Volk denken.
Und was hättest du dann davon gehalten, wenn Europa einig und geschlossen den Irakkrieg unterstützt hätte, und auch die deutschen und französischen Politiker da mitgemacht hätten, man muss schließlich Einigkeit demonstrieren?

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der_unbenannte
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@Judas
Die Frage ist halt, wie Demokratie in der heutigen Welt fähig bleibt. MMn ist dies nur durch die Wahl des politischen Kurses (links, rechts, mitte, liberal, sozial, etc) möglich, da es gewisse Dinge gibt, von denen das Volk keine Ahnung hat und haben kann. Selbiges gilt auch für viele Politiker.
Selbst über die - mMn erforderliche - Vereinfachung(!) des Steuerrechtes, könnte die Bevölkerung nicht wirklich sinnvoll entscheiden, weil diese nicht in der Lage ist gut genug informiert zu sein und die Politik nicht in der Lage ist sie gut genug zu informieren.
Von mir aus sind Plebiszite in der Kommunalpolitik durchaus machbar, aber um für 80Millionen Menschen zu sorgen, nicht schaffbar.

Die einzige Möglichkeit dafür wären zwingende(!) und regelmäßige Treffen des Wahlvolkes, wo dieses informiert wird und abstimmen darf.
Die Folge wäre meines Erachtens eine Teledemobürokratisierung, die für niemanden tragbar wäre.

Sollte dies jemals möglich sein und sollte (näherungsweise) alle Menschen dann in der Lage sein vernünftig (nach Kant) Entscheidungen zu treffen, wäre ich ein großer Befürworter der direkten Demokratie.
Solange dies nicht der Fall ist, halte ich diese für hinderlich bis gefährlich.

Es gibt einen Grund, warum wir es nicht wie in Weimar gemacht haben.

Was das mit Gewaltenteilung zu tun hat verstehe ich jetzt auf Anhieb aber nicht. Könntest du das genauer erläutern?

@Clemens
Dann wäre das die Entscheidung des gesamteuropäischen Volkes gewesen, mit der sich die Kritiker dann hätten abfinden müssen.

Wenn jetzt die Hälfte des Landes bei der Bundestagswas Die Linke wählt, dann bin ich auch nicht zufrieden darüber. Soll ich dann aber auf die Barrikaden gehen, wenn Die Linke soziale Reformen beschließt, die in meinen Augen untragbar für dieses Land sind?

Die Bundesstaaten von Deutschland haben ja (durch den Bundestag) auch einig und geschlossen für den Kosovokrieg gestimmt und darüber kann man sich beschweren oder auch nicht.

Übrigens hat sich Deutschland sehr wohl am Irakkrieg beteiligt.

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Denderan Marajain
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@Heldi
Das scheitern dieser zweiten Verfassung (das war sie defacto, auch wenn wir sie nicht mehr so genannt haben) verhindert, dass sich genau jene Dinge ändern, die kritisiert werden. Das Parlament wäre zur beherrschenden (jedenfalls: beherrschenderen) Institution im Gesetzgebungsverfahren geworden, die Komission in einem ersten Schritt verkleinert und die Kompetenzen erweitert worden.
Mich würde nur interessieren wo das bitte ein Verfassung war? Sie ändert an der Verfassung der Mitgliedsstaaten ja selbst NICHTS. Diese Änderung, welche von den Gegnern immer als Argument genannt wurde, tritt ja bei der Mitgliedschaft in Kraft. Hat ja nichts mit dem Reformvertrag zu tun der ja nur Reformen macht

Heldi
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Deine letzten beide Sätze verstehe ich nicht, ich kann nicht nachvollziehen, auf welche vorherige Aussage sie sich beziehen.

Zu den ersten beiden Sätzen ist zu sagen, dass die Tatsache, dass die europäischen Nationalstaaten ihre Verfassungen beibehalten hätten/werden, nicht auschließt, den Lissaboner Vertrag als Verfassung anzusehen. Auch unsere Bundeländern haben Verfassungen, d.h. den Staatsaufbau konstituierende Ordnungen, ohne das dies etwas an der Qualität des GG als Verfassung des Bundes ändern würde.

Die Abgrenzung zwischen der verfassten multilateralen Ordnung eines Quasi-Staates und einem "Staatenverbund" (so der berühmte von Paul Kirchhof im Maastricht-Urteil geprägte Ausdruck für den über einen bloßen Völkerbund -wie etwa bei der UNO oder Nato- hinausgehenden Zustand der EG/EU nach Maastricht) ist letztlich nur quantitativ über das Kompetenzspektrum und die organisatorische Tiefe zu machen: Ähnelt das verfasste System der EU nach einer Annahme von Lissabon schon so sehr einem Staat, das der Begriff Verfassung für diese Ordnung passend ist? Viele meinen halt Ja!
Zuletzt geändert von Heldi am 15.06.2008 18:04, insgesamt 1-mal geändert.

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