Europa in der Krise?

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Gubblinus
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Mir gehts darum dass "die EU" nie für Grenzschutz zuständig war, deswegen ist mir schleierhaft wie die EU jetzt daran schuld sein kann dass der Grenzschutz nicht funktioniert. Das war immer nationale Kompetenz.
Ja, ich unterstelle dass eine EU (nicht eine andere, sondern diese EU) die die Kompetenzen übertragen bekommen hat, ein gewähltes Parlament hat, und wie ein nationales Parlament einfach neue Gesetze erlassen kann, ohne nationale Regierungen zu befragen (oder zumindest nicht mehr als eine Bundesregierung ihre Länder befragt), schon längst (zumindest irgendeine) Lösung parat hätte (schlimmstensfalls die, die die Kommission vorgeschlagen hat).
Vielleicht wurde es so verkauft, und offenen Waren und Personenverkehr haben wir, und wir haben schon große Fortschritte in der Harmonisierung von Gesetzen gemacht (es fehlt noch sehr viel), de facto waren die offenen Grenzen zwar eine Errungenschaft der EU (als Verhandlungsplattform) aber nicht Verantwortung der EU dafür zu sorgen dass das auch funktioniert (weil die nationalen Regierungen selbst die Verantwortung dafür weiterhin haben wollten).

Gut, über das Verhalten der Kanzlerin in der Krise brauchen wir nicht zu streiten, denn da sind wir sicher einer Meinung. Die Kanzlerin hat massiv diplomatisches Porzellan zerschlagen, und tut es immer noch (und vergiftet damit weiterhin die Stimmung in der EU, und macht das was ich mir wünschen würde, ein mehr an EU, immer unmöglicher).

Über die demokratischen Strukturen einer dann eventuell neu zu formulierenden "EU-Regierung" hätte man meiner Meinung nach eben schon vor 20 Jahren diskutieren sollen, dann hätten wir vielleicht jetzt die erste EU-Regierung, wobei ich mir nicht sicher bin ob die Schaffung so einer Institution überhaupt von der Mehrheit der Bevölkerung gewollt wäre (ich glaube eher nicht, viel zu stark ist die nationale Verbundenheit, auch wenn sie eigentlich, meiner Meinung nach zumindest, keinen Sinn macht).

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sagista
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von sagista »

Das grundlegende Problem scheint mir zu sein, dass die Leute offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen von Europa haben. Daher passt der Thread-Titel ja auch ganz gut.

Am Beispiel der Flüchtlinge, insbesondere der Flüchtlinge muslimischen Glaubens sieht man das ziemlich gut. In einigen osteuropäischen Staaten sagen die Regierungschefs "Wir wollen keine Muslime in unserem Land!" Die Aufregung und die Empörung über die mangelnde Solidarität ist groß, durchaus verständlich z. B. aus deutscher Sicht. Nun ist es gleichwohl so, dass z. B. der ungarische Regierungschef offensichtlichen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Was macht denn dann? Druck? Beschimpfungen? Am Ende gar Sanktionen? Ich gebe zu, ich habe auch keine Lösung, bin aber davon überzeugt, dass der bisherige Umgang mit Ungarn, Polen, der Slowakei etc. kontraproduktiv ist. Ich bin zutiefst dagegen, wenn manche Politiker oder andere der Meinung sind, man könne die Leute zu ihrem Glück zwingen. Gerade die osteuropäischen Staaten reagieren auf gefühlte oder tatsächliche Bevormundungen extrem ablehnend, was ich aus historischen Gründen gut nachvollziehen kann.

Auch der Ansatz, mehr Kompetenzen nach Brüssel bzw. Straßburg zu geben, klingt ja durchaus richtig und notwendig, wenn man das Projekt Europa weiter nach vorne bringen will, aber offensichtlich möchten das viele Regierungen und damit auch die Völker nicht. In vielen Ländern sind rechts- und linkspopulistische, europaskeptische Parteien auf dem Vormarsch und da wirkt ein "mehr EU" fast wie eine Drohung.

Und eins noch zum EU-Parlament, solange man das dramatische Demokratiedefizit (das Prinzip der degressiven Proportionalität) bei Europawahlen nicht in den Griff bekommt, bzw. es entsprechend ändert, werden es EU-Kritiker immer leicht haben.

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Talasha
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Talasha »

Es kommt darauf an was an Europa abgegeben wird und wie. Wenn Frontex kann eine Koordinierungsstelle ist die einfach nur dafür sorgt das die nationalen Grenzsicherungsbehörden optimal zusammen arbeiten, oder Frontex kann sie mehr oder weniger schlucken und ersetzen.

Naja, wenn man die degressive Proportionalität ändert werden sich die kleinen Mitgliedsstaaten regelmäßig als die penetrierten vorkommen und das vermutlich zurecht.
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Andwari
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

@Gubblinus
Mal ein Beispiel wie das "grenzenlos" dargestellt wird: offiziell klingendes Schengen-Hochgejuble. Da steht genau nix vom nicht-freizügigen Nicht-EU-Bürger - der wie im letzten Sommer gezeigt die Dublin-Vereinbarungen nur dann erkennt, wenn die die Form ungarischer Grenzzäune annehmen - sonst läuft er einfach dran vorbei.

Dein "diese EU ... hätte" ist wie schon erwähnt unbeweisbare Hoffnung, denn diese EU hat und hatte nicht die entsprechenden Kompetenzen, d.h. wir reden im Irrealis.

Der Zweifel daran, ob man diese ganzen kleinlichen, teilweise egoistisch-rückständigen untergeordneten Strukturen denn noch braucht, ist bei einigen Gruppen tief verwurzelt - nennen wir es Staatsgläubigkeit oder Faulheit der etablierten, sich selbst für fortschrittlich haltenden Mitte.

Nur leider funktioniert der gutgemeinte zentrale Plan halt mindestens genauso oft nicht wie er es tut - und dass man vllt. in Slowenien, Kroatien oder den baltischen Ländern noch aus anderen Erfahrungen heraus eine ablehnende Grundtendenz gegenüber "Zentralregierung" hat als in einem sehr auf Subsidiaritätsprinzip aufgebauten Gemeinwesen. Deutschland oder Österreich sind da im internationalen Vergleich ziemlich anti-zentralistisch und haben gute Erfahrungen damit gemacht. In einer EU, in der nach z.B. französischem Muster präsidial-verwalterisch durchregiert würde, würden wir ganz fix heulen und zähneklappern. Das geht dann nämlich nur mit einer sehr viel laxeren Einstellung gegenüber den fernen Autoritäten gut - die man in unseren Breiten gerne mal zwischen Südeuropa und dem tiefsten afrikanischen Dschungel beheimatet annimmt.

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sagista
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von sagista »

@ Talasha:
Klar, die degressive Proportionalität hat man ja nicht zum Spaß eingeführt oder um die Deutschen oder andere Bürger aus bevölkerungsstarken Staaten zu ärgern. Ziel dessen ist ja, soweit ich weiß, dass in etwa auch die politische Landschaft jedes einzelnen Mitgliedstaates erkennbar sein soll und dass, wenn man dieses sicherstellen möchte, gleichzeitig aber auch allen Wählerstimmen gleiches Gewicht geben möchte, das Parlament riesengroß werden würde. Aber trotzdem bleibt so ein Demokratiedefizit bestehen, laut wikipedia kommen in Frankreich 874.514 Bürger auf einen Abgeordneten, auf Malta 68.833 Bürger auf einen Abgeordneten. Das bedeutet ja, dass ein maltesische Wählerstimme letztendlich mehr als 12 mal so viel zählt wie eine französische. Dass dies ausschlachtbar ist, ist offensichtlich.

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Gubblinus
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Ich glaube Lösungen, auch mit den Osteuropäischen Staaten zu finden, wäre wesentlich einfacher gewesen vor der Krise.

Jetzt entsteht immer das Bild (egal obs stimmt): "ein paar Staaten haben es versaut und wollen jetzt den Bockmist den sie selber gebaut haben anderen aufbürden", kein Regierungschef kann das seiner Bevölkerung gut verkaufen, schon gar nicht wenn der der Mist gebaut hat Deutschland ist (es ist zwar mittlerweile 70 Jahre her, aber Deutschland ist was das betrifft noch immer für viele Länder ein sensibles Thema).
Hätte man schon vor 5 Jahren darüber geredet, wäre es sicher wesentlich leichter gewesen Lösungen zu finden (mit Kompetenz abgeben) weil niemand das Gefühl gehabt hätte "ich muss jetzt Flüchtlinge aus Deutschland nehmen weil Deutschland die aufgenommen hat", man hätte es unter dem Titel "Die EU zahlt jetzt unsere Grenzsicherung" verkaufen können, das ist jetzt nicht mehr möglich.
Im Nachhinein hat man immer leicht reden, das ist mir auch klar, allerdings bin ich schon seit 10 Jahren für eine Reformierung der EU (und ja, kleine Staaten müssten damit leben weniger vertreten zu sein, ich weiß dass das schwer umsetzbar scheint, aber man kann ja auch hier analog zu Minderheiten im eigenen Land Mechanismen schaffen die mehr Mitsprache ermöglichen), jetzt in der Krise ist eine Reformierung eigentlich unmöglich, weil das generelle Gesprächklima, vor allem durch Merkel (und das schon seit Griechenland/Spanien-Krise) sehr schlecht ist.

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Talasha
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Talasha »

@Sagista
Ja, andererseits würden und werden dann die kleineren Staaten untergebuttert.
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Thargunitoth
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Thargunitoth »

Man sollte nicht glauben, dass ein "Vereinigte Staaten von Europa" (=VSE) bezüglich der Flüchtlingspolitik entgegenkommender wäre, als dies in der jetzigen Situation der Fall ist. Wenn die Demokratie einer solchen Institution gut funktioniert und die Abgeordneten im EU-Parlament auch über Direktmandate in das Parlament kommen, dann müssten diese sehr sehr vorsichtig sein, wie sie sich bei einer Abstimmung bezüglich Flüchtlingen entscheiden. Das hätte die Parteienlandschaft der EU genauso destabilisiert, wie dies nun in Deutschland, Frankreich und Österreich der Fall ist. Die osteuropäischen Abgeordneten wären schon von Anfang an dagegen gewesen.

Wenn ich beispielsweise die VSE mit der Struktur der BRD (Bundestag=Europaparlament(mit Stimmengleichheit!!) gewählt, Bundesrat sind die Nationalstaaten, Exekutive als Regierung gebildet ) annehme, dann würde kein "nettes" Flüchtlingsgesetz durch die Abstimmung im "Bundesrat" kommen.

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Der Wanderer
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Der Wanderer »

Nur ein paar Gedanken, nicht unbedingt eine Widerrede:
sagista hat geschrieben:Nun ist es gleichwohl so, dass z. B. der ungarische Regierungschef offensichtlichen Rückhalt in der Bevölkerung hat.
Ja. Wobei man nicht vergessen darf, dass man die öffentliche Meinung durchaus ganz gut beeinflussen kann. Zugegeben kenne ich mich in Ungarn nicht aus, aber derzeit sieht man ja in Deutschland, wie hübsch sowas funktionieren kann.

Ich bin zutiefst dagegen, wenn manche Politiker oder andere der Meinung sind, man könne die Leute zu ihrem Glück zwingen. Gerade die osteuropäischen Staaten reagieren auf gefühlte oder tatsächliche Bevormundungen extrem ablehnend, was ich aus historischen Gründen gut nachvollziehen kann.
Nunja, ohne Druck funktioniert wohl selten was, gerade auch in der Politik. Aber die Frage, was man machen soll, wenn, wie etwa in Polen gerade, eine Regierung auf viele Ideen und "Gesetze" der EU einen Riesenhaufen setzt, ist eine gut und schwer zu beantwortende. Und ja, eine gewisse historische Sensibilität ist natürlich ratsam, andererseits halte ich die Empfindlichkeit teils auch schlicht für vorgeschoben. Man will halt sein Ding machen (z. B. manchen "EU-Kram" ignorieren, aber doch von ihr profitieren) und da kommen solche Argumente natürlich gut ...
Auch der Ansatz, mehr Kompetenzen nach Brüssel bzw. Straßburg zu geben, klingt ja durchaus richtig und notwendig, wenn man das Projekt Europa weiter nach vorne bringen will, aber offensichtlich möchten das viele Regierungen und damit auch die Völker nicht.


Ja, scheint so. Auch wenn ich das "und damit auch die Völker" für nicht so klar halte. Natürlich, die Regierungen vertreten die Bevölkerung, aber wir wissen doch alle, wie indirekt das ist. Und da wären wir wieder bei der öffentlichen Meinung. Mit der Meinung ist es ja eh so eine Sache ... Wenn ich mal schaue, wie ungetrübt von jeder Sachkenntnis nicht wenige trotzdem eine starke, klare Meinung haben, eieiei. Natürlich, eine Meinung ohne Ahnung zu haben ist auch gewissermaßen ein Recht in demokratischen Systemen, aber das führt doch schnell in Absurditäten - nämlich, wenn man vom dem passiv bis aktiv profitiert, gegen das man sich ausspricht. (Man sieht ja gerade in Großbritannien hübsch, wie manchen, die nicht selten gegen die EU gewettert haben, nun, da das Referendum zum Brexit führen könnte, der Arsch auf Grundeis geht.)
Und eins noch zum EU-Parlament, solange man das dramatische Demokratiedefizit (das Prinzip der degressiven Proportionalität) bei Europawahlen nicht in den Griff bekommt, bzw. es entsprechend ändert, werden es EU-Kritiker immer leicht haben.
Dazu wurde ja schon einiges gesagt. Aber hier sehe ich keine Lösung in Deinem Sinne, jedenfalls solange es sowas wie Nationen gibt. Denn die bevölkerungsärmeren werden dann immer völlig marginalisiert sein. Im Übrigen sind so Ungleichgewichte stets vorhanden. (Auch im Bundesrat ist die Proportionalität nicht gewahrt.) Aber vielleicht kann man das doch noch etwas besser machen, denn ja, die Unterschiede sind schon eklatant.

In den USA klappt es ja mit Sitzen nach Bevölkerungszahl im Repräsentantenhaus, aber da ist die historische Situation eine andere. Andererseits könnte man sich am Zweikammerprinzip mit einem Senat, der wiederum völlig auf Proportionalität scheißt und in dem jedes Land gleich vertreten ist, orientieren. Mit dem Rat gibt es sowas ja bereits, allerdings ist der halt sehr indirekt demokratisch.
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Gubblinus
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Thargunitoth hat geschrieben:Wenn ich beispielsweise die VSE mit der Struktur der BRD (Bundestag=Europaparlament(mit Stimmengleichheit!!) gewählt, Bundesrat sind die Nationalstaaten, Exekutive als Regierung gebildet ) annehme, dann würde kein "nettes" Flüchtlingsgesetz durch die Abstimmung im "Bundesrat" kommen.
Es geht doch gar nicht darum ob oder inwiefern das "Flüchtlingsgesetz" nun "nett" ist, es geht darum das Chaos und das menschliche Leid dass die Nationalstaaten (und deren Regierungen) verursacht haben beim Namen zu nennen, und denjenigen beim Namen zu nennen der es zu verantworten hat (und das ist nicht die EU ...).

Wir sind alle dafür menschliches Leid zu verhindern, wir haben alle unterschiedliche Ansichten wie man das am besten zu Stande bekommt, nur nichts machen, oder in Einzelstaatlichkeit zu verfallen scheint weder den Weg der Hardliner ("wenn wir alle ablehnen kommt keiner, also ersäuft auch keiner") noch den Weg der absoluten Softies ("wir nehmen einfach alle schon vor Ort auf") noch einen differenziertere Lösung dazwischen zu ermöglichen.
Und so fördert jede Nicht-Lösung die die Nationalstaaten jetzt schon seit fast einem Jahr fabrizieren weiteres menschliches Leid ... bis zu dem Punkt dass Menschen zwischen 2 Staaten gefangen sind und weder vor noch zurück können und sich niemand zuständig fühlt (egal in welcher Weise zuständig, ob das eine Rückführung, oder Aufnahme ist). Manchmal ist eine schlechte Lösung besser als gar keine Lösung.

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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Thargunitoth »

Das ist der Unterschied. Ich denke die VSE würden nicht unbedingt das menschliche Leid in Relation zur jetzigen Situation mindern, sondern die Hardliner würden sich demokratisch durchsetzen und die Flüchtlinge von der EU fernhalten. Dann gäbe es kein Schweden, Österreich und Deutschland, die im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung Massen an Flüchtlingen aufnehmen, sondern die EU würde demokratisch das Problem in die Türkei verlagern und die Flüchtlinge, die doch hier herkommen ins letzte Eck in Holzhütten in den skandinavischen Staaten stecken.

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sagista
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von sagista »

Talasha hat geschrieben:@Sagista
Ja, andererseits würden und werden dann die kleineren Staaten untergebuttert.
Naja klar, irgendwie schon.
Allerdings ist das doch genau ein Wesenszug der Demokratie. Gingen wir weg von den Staaten und würden über Interessensgruppen sprechen, so käme niemand auf die Idee, dass z. B. der kleine Interessensgruppe der Rollenspieler mehr Stimmmacht zugebilligt wird als der großen Interessensgruppe der Brettspielspieler.

Aber wie gesagt, ich weiß, warum das Prinzip der degressiven Proportionalität angewendet wird. Ich sage auch nicht, dass das geändert werden muss bzw. weiß ich nicht, wie es fair geändert werden könnte. Ich sage nur, dass EU-Kritiker diesen Umstand sehr gut nutzen können, um gegen die EU zu reden.

Vielleicht sollte man ganz weg davon gehen, dass Länder eine bestimmte Zahl an Sitzen hat, sondern die Fraktionen zur Wahl stellen. Bei der Bundestagswahl ist es ja auch so, dass es egal ist, aus welchem Bundesland die Abgeordneten kommen. Die Bundesländer sind ja - wie der Wanderer ja schon treffend bemerkte - ebenfalls nicht nach Wählerstimmen im Bundesrat vertreten, sondern mit einer Stimme pro Land. Vielleicht wäre das ein sinnvolleres Konzept.
Der Wanderer hat geschrieben:Ja. Wobei man nicht vergessen darf, dass man die öffentliche Meinung durchaus ganz gut beeinflussen kann. Zugegeben kenne ich mich in Ungarn nicht aus, aber derzeit sieht man ja in Deutschland, wie hübsch sowas funktionieren kann.
Das funktioniert natürlich auch in beiden Richtungen. Möchte man die Addressaten Flüchtlingen gewogen stimmen, verwendet man natürlich Bilder von kleinen süssen Kindern mit großen traurigen Augen hinter Stacheldraht, möchte man die Menschen gegen Flüchtlinge aufhetzen, verwendet man Bilder von aggressiv dreinschauenden, am besten noch vermummten jungen Männern mit Steinen in der Hand und mit Rauchschwaden im Hintergrund. Die Wahrheit liegt dann natürlich irgendwo in der Mitte bzw. bei einem "sowohl als auch".

Aber grundsätzlich gehört es schon auch zu einem respektvollen Umgang untereinander, dass man davon ausgeht, dass die Menschen im Wesentlichen wissen was sie tun. Du hast natürlich recht, wenn du darauf hinweist, dass jeder seine Meinung haben kann und sei diese noch so abwegig und von Unwissenheit geprägt. Nur müssen wir das natürlich aushalten, dass sich nicht jeder eingehend mit teilweise auch sehr komplexen Fragestellungen befasst und eine Meinung dazu hat. Das ist ja auch eines der Argumente gegen mehr direkte Demokratie.

Dennoch muss man wohl davon ausgehen, dass die Mehrheit in Ungarn oder Polen den Kurs der Regierungen mitträgt.
Der Wanderer hat geschrieben:Nunja, ohne Druck funktioniert wohl selten was, gerade auch in der Politik. Aber die Frage, was man machen soll, wenn, wie etwa in Polen gerade, eine Regierung auf viele Ideen und "Gesetze" der EU einen Riesenhaufen setzt, ist eine gut und schwer zu beantwortende. Und ja, eine gewisse historische Sensibilität ist natürlich ratsam, andererseits halte ich die Empfindlichkeit teils auch schlicht für vorgeschoben. Man will halt sein Ding machen (z. B. manchen "EU-Kram" ignorieren, aber doch von ihr profitieren) und da kommen solche Argumente natürlich gut ...
Selbstverständlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Empfindlichkeit teilweise vorgeschoben und auch gezielt instrumentalisiert wird. Ich glaube nicht, dass ein Kaczyński ernsthaft Angst vor deutscher Bevormundung hat, denke aber, dass er genau weiß, dass viele, vor allem ältere diese Ängste noch haben und er diese nur anstacheln muss. Aber dann muss man sich überlegen, warum macht der Mann das, warum wird er darin unterstützt und was folgt daraus.

Die EU macht manchmal den Eindruck, als würde sie viel hinnehmen, nur damit der Verbund zusammenbleibt. Vielleicht sollte man das einfach mal überdenken und die Möglichkeit eines Rauswurfs durchaus in Betracht ziehen. Das war ja schon bei den Briten immer so, dass man ihnen irgendwelche Vergünstigungen entgegengebracht hat, damit sie Ruhe geben. Ich weiß nicht, ob das eine sinnvolle Methode ist.
Gubblinus hat geschrieben:Es geht doch gar nicht darum ob oder inwiefern das "Flüchtlingsgesetz" nun "nett" ist, es geht darum das Chaos und das menschliche Leid dass die Nationalstaaten (und deren Regierungen) verursacht haben beim Namen zu nennen, und denjenigen beim Namen zu nennen der es zu verantworten hat (und das ist nicht die EU ...).
Welches menschliche Leid haben welche Nationalstaaten (und deren Regierungen) verursacht?

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Gubblinus
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

sagista hat geschrieben:Welches menschliche Leid haben welche Nationalstaaten (und deren Regierungen) verursacht?
Ist das eine ernst gemeinte Frage (unter meinem Gesichtspunkt dass die Regierungen der Nationalstaaten jegliche Verantwortung für Asyl und Umgang damit innehaben)?

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sagista
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von sagista »

Ja, die Frage ist ernst gemeint, da du ja die Verantwortlichen beim Namen nennen möchtest.
Ich vermute ja, dass du die europäischen Regierungen meinst, bzw. das geht ja relativ klar aus deinen Aussagen hervor, ich möchte es nur auf den Punkt gebracht lesen, da ich in diesem Punkt nämlich eindeutig anderer Meinung bin, was die Verursacher des menschlichen Leids betrifft. Auch wenn Europa sicherlich kein gutes Bild abgibt, so sitzen die Verursacher dennoch außerhalb Europas.

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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Um zu präzisieren, ich meine eigentlich "es wurde unnötig Leid zusätzlich geschaffen durch das Chaos und die Aktionen europäischer Regierungen", ich meine nicht dass sie der primäre Auslöser für die Flüchtlingsbewegung an sich sind (ohne Krieg und Elend gäbe es keine so großen Flüchtlingsströme, auch dagegen könnte man als Regierung etwas unternehmen, aber in wesentlich geringerem Ausmaß). Ich meine nur dass durch das Missmanagement noch ein Haufen an Leid dazugekommen ist, Leid das verhinderbar gewesen wäre (zB durch Botschaftsasyl, oder ähnliche vor Ort-Maßnahmen).
Es haben alle europäischen Regierungen kein Modell zur legalen Einreise durch Asyl und dadurch Bedingungen geschaffen die es Schleppern erst ermöglichen ein Geschäftsmodell aufzubauen, mit allem damit verbundenen Leid und Chaos dass wir im letzten Jahr gesehen haben.

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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von sagista »

Ich denke, dass das Schleppergeschäftsmodell auch mit einer anderen Asylpolitik funktionieren würde, da es den Asylsuchenden deutliche praktische Vorteile bringt, wenn sie erst einmal in einem Land sind, in dem sie Asyl beantragen möchten, da ja selbst die Ablehnung eines Asylantrags nicht bedeutet, dass man das Land unverzüglich zu verlassen hat.

Der Kardinalfehler bei den Flüchtlingen aus Syrien war allerdings sicherlich, dass viele Staaten ihre Mittel für die Flüchtlingsversorgung in den Nachbarländern zurückgefahren haben. Da würde ich mir wirklich wünschen, wenn hier mal harte Fakten präsentiert werden würden, wer da von den vielen reichen Staaten dieser Welt was geleistet hat.

Ich bin mir sicher, dass viele syrische Flüchtlinge eigentlich nie nach Europa fliehen wollten. Die wahrscheinlich beste Lösung wäre eine Flüchtlingsversorgung vor Ort gewesen mit der Option, bestimmte Personen z. B. aus gesundheitlichen Gründen nach Europa zu bringen.

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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Eulenspiegel »

sagista hat geschrieben:Ich denke, dass das Schleppergeschäftsmodell auch mit einer anderen Asylpolitik funktionieren würde, da es den Asylsuchenden deutliche praktische Vorteile bringt, wenn sie erst einmal in einem Land sind, in dem sie Asyl beantragen möchten, da ja selbst die Ablehnung eines Asylantrags nicht bedeutet, dass man das Land unverzüglich zu verlassen hat.
Das kann man so pauschal nicht sagen.

Drei mögliche Formen der Asylpolitik, mit denen sich das Schleppertum unterbinden ließe:
1) Jeder Flüchtling darf ganz legal einreisen, um seinen Asylantrag zu stellen.
Sobald ein Flüchtling legal einreisen darf, ist es nicht mehr notwendig, Schlepper dafür zu verwenden.

2) Asylanträge dürfen nur noch in Botschaften gestellt werden. Asylanträge, die im eigentlichen Deutschland gestellt werden, werden automatisch abgewiesen. (Das ist quasi das Gegenteil der aktuellen Asylpolitik.)

3) Eine weitere Möglichkeit:
Ich bin mir sicher, dass viele syrische Flüchtlinge eigentlich nie nach Europa fliehen wollten. Die wahrscheinlich beste Lösung wäre eine Flüchtlingsversorgung vor Ort gewesen mit der Option, bestimmte Personen z. B. aus gesundheitlichen Gründen nach Europa zu bringen.

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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Thargunitoth »

Das Asylgesuch aus einer Botschaft eines funktionierenden Landes bedeutet faktisch, dass sich der Flüchtling auf sicherem Boden befindet. Dort ist folglich kein Kriegsflüchtling mehr kriegsbedroht, da es dort keinen Krieg gibt. Deswegen werden diese Asylanträge alle abgelehnt. Aber schon anders sieht es aus, wenn genau der gleiche Flüchtling nach Deutschland kommt und hier seinen Asylantrag stellt.

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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Das ist schweizerische Definition. Man muss es nicht so definieren (man kann natürlich). Wenn man neues Botschaftsrecht schafft (hatte Deutschland überhaupt je eines?) kann man das ja definieren wie man will, und es gibt Definitionen bei denen Schlepper wieder unnütz werden.
(davon abgesehn muss man sich ja nicht auf Botschaften verlassen, man kann auch in der Nähe von Kriegszentren und besonderen Problemzonen in den Ländern in denen eine Botschaft nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, oder für viele Verfolgte nicht erreichbar ist, "Impromtu-Botschaften" errichten bei denen Asylanträge gestellt werden können).
Man muss ja nicht einfach stur das Botschaftsasyl der Schweiz kopieren, wenn man doch, wie du ausführst, weiß dass es Schleppertum nicht verhindern wird, oder dazu führt dass man man de facto niemandem mehr Schutz gewährt (je nachdem ob man Asylanträge auf eigenem Boden noch zulässt).

Thargunitoth
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Thargunitoth »

@Gubblinus
Und mit welcher Begründung willst du es ändern bei klassischen Botschaften? Faktisch gibt es keinen Asylgrund mehr, sondern nur noch einen Verpflegungsgrund. Einem Flüchtling in Ägypten kann es unter Umständen dort besser gehen als einem armen Ägypter.

Wir können gerne mit den Nachbarstaaten von Syrien über Kontingente von Flüchtlingen nach Deutschland sprechen, da wäre ich auch voll dafür, aber das entspricht keinem individuellem Asylrecht. Die Menschen direkt aus Syrien zu uns zu holen halte ich auch für eine mögliche Idee, aber dazu müsste man in Kriegsgebiet bzw. sich in die lokalen Konflikte einmischen.

Und Deutschland kann nicht die Flüchtlingslasten allein übernehmen, denn andere EU-Länder machen da bestimmt nicht mit. Das machen auch die USA und Kanada nicht.

Letzteres sind alles Kontingentlösungen, ein Gesetz mit einem solchen Asylrecht zu verabschieden würde aber keine Regierung machen, da sie dadurch juristische Konsequenzen verursacht.

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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Es gibt noch eine Botschaft Deutschlands in Syrien, die ist allerdings im Moment geschlossen (wenn auch noch besetzt glaube ich), Interimsmäßig übernimmt das die Botschaft in Beirut. Es spräche nichts dagegen Zentren in den Flüchtlingslagern zB an der türkischen Grenze aufzumachen, in denen Asylanträge gestellt und geprüft werden können. ISIS ist nicht vorbei, hier geht es auch und noch immer um persönliche Verfolgung, und individuellem Asylanspruch. So wie du schreibst klingt das ja so als wäre dort jetzt Friede Freude Eierkuchen, nur weil jetzt einige der Flüchtlinge aus Syrien rausgekommen sind (nicht alle).
Natürlich "kann es unter Umständen einem Flüchtling in Ägypten besser gehen als einem armen Ägypter", trotzdem sollte man Ägypten mit diesem Argument doch nicht allein auf dem Haufen Leute sitzen lassen, und wenn diesen in Ägypten kein Asyl gewährt wird, sie also keinen Aufenthaltstitel bekommen, sind es weiterhin zumindest Vertriebene, wenn auch nach deiner Definition (nach meiner schon) vielleicht keine Verfolgten mehr (wobei Verfolgung weiterhin zu prüfen ist, aber da wir da unterschiedlicher Ansicht sind was "Verfolgung" eigentlich heißt, brauchen wir uns diese Diskussion auch kaum antun).

Natürlich kann Deutschland nicht die Flüchtlingslasten allein tragen, sollte es auch nicht. USA und Kanada als Beispiel für Menschenrecht oder Asyl herzunehmen sehe ich als fraglich an, wenn man die Messlatte im Boden vergräbt, kommt man auch kriechend drüber ...

Man macht sichs schon recht einfach wenn man sagt "wer anderer soll sich drum kümmer, und wir können ja nicht alle aufnehmen". Eine damalige Englischlehrerin hat uns damals eine Geschichte erzählt:
A little girl is walking on the beach, seeing stranded starfish all over the beach. She picks one up and throws it back into the sea, and the boy by her side asks: "what difference does it make, you can't save all of them" and she answers "it makes a difference to this one".
Nicht alle retten zu können ist keine Ausrede dafür keine ernsthafte Diskussion darüber zu beginnen wie wir so vielen helfen können wie möglich, und wo Europas (oder Deutschlands) Belastungsgrenze überhaupt ist, was das heißt, was mögliche Lösungen sind, was nicht-mögliche Lösungen sind, und was das für uns alle bedeutet. (und diese Diskussion wird weder von der Mitte, noch von rechts oder von links geführt).

Und, wir würden uns diese Misere die du ansprichst, um auf das Thema Europa zurückzukommen, nämlich die Misere "Deutschland kann das nicht allein, und die anderen zum mitziehen zu bewegen ist schwer" sparen wenn wir eine EU-Regierung hätten. Dann gäbe es zumindest eine Lösung, wie auch immer die aussehen mag (das ist schwierig zu prognostizieren).

Thargunitoth
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Thargunitoth »

Deswegen habe ich aber vom Recht auf Asyl gesprochen, denn das schafft den Anspruch darauf. Das kleine Mädchen würde dann nämlich von allen anderen Fischen verklagt werden, weil es ihnen nicht hilft.

In den Flüchtlingslagern um Syrien brauch man auch keinen Aufwand zu betreiben um die Asylanträge zu prüfen. Man kann schon relativ sicher sein, dass die Menschen aus Syrien flohen bzw. um einges sicherer als bei denen, die bis nach Deutschland kommen. Dementsprechend sind Kontingente auch die bessere Lösung, da es einfach weniger Aufwand macht, als ein individuelles Asylrecht (und s. erster Satz).

Flüchtlinge aus Syrien über Kontingente wurden von Deutschland übrigens schon 2014 aufgenommen. Das waren dann ca. 14.000, also nicht gerade die Masse. Der Flüchtlingsdruck durch die Ströme hatte schon eine massive Wirkung.

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BenjaminK
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von BenjaminK »

Ist die Geschichte des kleinen Mädchens nicht genau die Darstellung von Kontingenten? Allen kann nicht geholfen werden, aber für die wenigen, denen geholfen wird, macht es einen Unterschied.

Im Moment bewahrheitet sich halt, dass wir entweder zu viel EU haben oder zu wenig EU. Viele Dinge werden "an die EU" hochdeligiert, aber die Durchsetzungskompetenz bleibt bei den Nationalstaaten. Das ist ein bizarres Missverhältnis. Entweder muss die Kompetenz dann auch nach Brüssel, oder die Dinge dürfen nicht mehr hochdeligiert werden.

Ich hätte keine Probleme damit, mich zukünftig als Europäer oder deutscher Europäer zu bezeichnen. Dafür möchte ich aber auch in diesem Europa Einigkeit in vielen Dingen. Es kann nicht sein, dass es drastische Entwicklungsunterschiede zwischen den beteiligten Nationen gibt, unterschiedliche (nationale) Besteuerung, andere Lohnnebenkosten durch andere Sozialversicherungen etc. Und solange ich in Nachbarländer fahren kann um dort Kaffee, Alkohol, Zigaretten, Benzin etc. billiger (weil weniger besteuert, nicht weil technologisch effizienter produziert) zu kaufen, aber gleichzeitig die steuerfinanzierten Annehmlichkeiten des Heimatlandes benutzen kann, ist das eine Schieflage.

Es wird immer Unterschiede geben, genau so wie es in den Bundesländern Unterschiede gibt. Und es gibt auch lokale Regelungen, die nicht von der Bundesregierung entschieden werden, sogar Fiskale Dinge, die auf kommunaler Ebene entschieden werden. Die führen aber auf Bundeslandsebene nicht dazu, dass die Bundesregierung nicht wirklich handlungsfähig ist. Und so muss es auch mit einer EU sein.
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Gubblinus
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Kontingente sind für mich dahingehend ein Problem dass 1. die Auswahl schwierig ist (das einzige was ich mir persönlich vorstellen könnte wäre eine Lotterie, nachdem man absolute Härtefälle genommen hat), und sie 2. dem Grundgedanken von Asyl ("Aufnahme wegen Verfolgung", nicht "Aufnahme wegen Verfolgung nur dann ...") widersprechen. Was allerdings vor Kontingenten notwenig ist ist trotzdem eine Diskussion darüber was "Belastungsgrenze" überhaupt heißt, wo die liegen mag (niemand traut sich dazu auch nur eine Zahl als Diskussionbasis zu nennen), und wie wir generell in Europa damit umgehen wollen (oder können).

Das erste was man akzeptieren muss dazu ist etwas das (zumindest im Moment) niemand akzeptieren will (wie man gut an dem Beispiel von Griechenland und Spanien sieht): Transferzahlungen.
Es gibt immer Regionen die strukturell benachteiligt sind, in Österreich ist das zB das Burgenland. Es fließt jedes Jahr Geld aus Gebieten die strukturell besser sind in diese Regionen, nicht als Kredit, sondern als Transferzahlung.
Und für die Vision eines gemeinsamen Staates EU, müssten solche Tranferzahlungen erfolgen, nicht als Kredit, und mit der Aussicht auf die Ewigkeit gezahlt werden zu müssen. Leider fehlt dazu das Zugehörigkeitsgefühl (ein Deutscher würde zB sagen warum soll ich den Griechen jedes Jahr Geld geben), es hat schon genug Stunk gegeben bei der Wiedervereinigung wegen den Transferzahlungen, und da ging es darum andere Deutsche zu finanzieren.
Und gerade in einer Zeit wo die Solidarität selbst innerhalb eines Staates immer weniger wird, hab ich wenig Hoffnung dass sich andere Menschen dazu bereit erklären würden in einem vereinten Europa zu leben (unter einer Regierung, einem Budget, und eben dauerhaften Transferleistungen)

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Talasha
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Talasha »

@Gublinius
Der Länderfinanzausgleich in Deutschland funktioniert doch auch. Mehr oder weniger.
Sir Isaac Newton ist der tödlichste Bastard im ganzen Weltraum!

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BenjaminK
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von BenjaminK »

Länderhaushaltfinanzausgleich ist deutlich anders als Transferzahlungen von dem einen souveränen Staat an den anderen souveränen Staat.

Wir haben beim Finanzausgleich über die 60 Jahre BRD auch Entwicklungen gehabt. Da gab es Bundesländer, die lange Zeit profitiert haben weil sie in ländliche Strukturen gebunden waren und heute der Hauptzahler sind, weil sie Industrie und Technologie beherbergen. Aber sie hatten immer die Gemeinsamkeit, dass gewisse Entscheidungen nicht beeinflusst waren; Zum Beispiel die hauptsächlichen Steuern, die woanders entschieden wurden, aber alle verpflichtet haben. Das heißt aber auch, dass Mißstände in dem einen Land von den darüberliegenden Instanzen, an die die Steuereinnahme geht, geduldet oder gewollt sind. Auf jeden Fall muss die Landeshauptstadt der Bundeshauptstadt Rechenschaft ablegen.

Solange die Besteuerung aus Berlin kommt, weigere ich mich, dass davon irgendwas nach Athen wandert. Athen ist Berlin keine Rechenschaft schuldig. Damit kann Berlin nur die Höhe der Zahlung regulieren, nicht aber die Verwendung oder die Gründe für den Bedarf an Transferzahlungen. Das ändert sich erst, wenn die Besteuerung aus Brüssel käme und Athen eine Rechenschaft gegenüber Brüssel ablegt über Verwendung und Gründe für Bedarfe.
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Andwari »

@Talasha
Uiiiii, eine Tretmine, was passiert wohl, wenn man da draufhüpft?


Transferzahlungen brauchen ein Gemeinschaftsgefühl, stimmt. Dass das zwischen Oberösterreich und Burgenland vllt. einfacher funktioniert als zwischen Deutschland und Griechenland, mag sein.
Wichtig finde ich da aber auch andere Aspekte. Auch in Österreich ist das "Transferkarussel" ja wohl nicht ganz problemlos. Und wenn man nicht ausschließen kann, dass eine arme Gemeinde in einem reichen Bundesland an die genauso arme Gemeinde im ärmeren Bundesland (ansonsten gleiche eigene Einnahmen und Abführungen nach oben) zahlt, läuft was falsch.
Jeder "Spender" will irgendwie das Gefühl haben, dass sein Geld sinnvoll verwendet wird - das schlimmste was z.B. einer charitativen Organisation passieren kann ist, dass man auf ihren Verwaltungskosten oder zweckentfremdeten Anteilen herumreitet - dann stürzen bald die Einnahmen ab. Beim Beispiel Berlin im deutschen Länderfinanzausgleich ist genau das das Problem: Der Verwaltungs-Schlendrian dort ist legendär, letztes trauriges Beispiel Lageso (das hatte so kein anderer Landkreis, ob in München, Hamburg oder Lüchow-Dannenberg, gemeint ist nicht die akute Überforderung, sondern dass man es monatelang achselzuckend nicht hinbekommt).
Nimmt man aber den Geldgebern das gute Gefühl, quasi "Spender" für eine gute Sache zu sein, steigen per se die Widerstände gegen die Zahlung.

Jede Transferleistung nimmt irgendwo Selbstverantwortung - und je größer und anonymer der Prozess ist, desto anfälliger ist man. Es gäbe genug Beispiele für verfehlte verstetigte Transferleistungspolitik, sowohl EU-intern (deutsche Kohleförderung, Milchwirtschaft) als auch in der Entwicklungshilfe, wo man die Erkenntnis eigentlich schon Anfang der 90er hatte.

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Gubblinus
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Griechenland muss ja jetzt schon für die Kredite Rechenschaft ablegen (das ist ja alles an Auflagen geknüpft). Eigentlich war das aber gemeint "nach dem Ende der Nationalstaaten".
Und in Deutschland haften höhere Instanzen für niedrigere Instanzen, auch wenn die Kompetenz für gewisse Sachen ausschließlich bei den niedrigenen Instanzen beheimatet sind (und diese vielleicht sogar extra gewählt werden).
Das Gemeinschaftsgefühl hält das aber ohne Probleme aus.

(In Österreich haftet zwar die übergeordnete Instanz nicht explizit, aber praktisch dennoch. Prominentes Beispiel ist die Kärntner Landesregierung die Milliarden in den Sand setzt die der Bund, zumindest teilweise, übernimmt (und das sind Summen die Österreich eigentlich nicht so mir nichts dir nichts tragen kann). Der Bund war aber nie eigebunden in die Entscheidung, Rechenschaft ablegen ist da auch ein sehr schwammiger Begriff, trotzdem schädigt das das Gemeinschaftsgefühl zu Kärnten nicht (vielleicht zu den handelnden Politikern, aber nicht zu den Kärntnern).
Das Problem bei Griechenland ist, dass es ein "wir" und ein "die" gibt. Wenn "wir Deutschen" was verbockt haben, weil dort auch Deutsche sind (und man ein Gemeinschaftsgefühl hat) ist klar dass "wir Deutsche" auch bezahlen, egal ob der Bund, oder man selbst mitentscheiden konnte. Wenn aber "die Griechen" was verbockt haben, dann sinds nicht nur die handelnden Personen dies ausbaden sollen, sondern plötzlich alle Griechen, und nicht "wir", weil kein Gemeinschaftsgefühl da ist.

Ich denke wichtiger als das Rechenschaft ablegen, ist eben dieses Gemeinschaftsgefühl (weil was heißt denn politische Verantwortung übernehmen, da nimmt einer den Hut und macht was anderes, mehr passiert ja im Endeffekt nicht).
Und dieses Gemeinschaftsgefühl gibts in der ganzen EU nicht, daher kommt ja auch die jetzige Flüchtlingskrise (bzw die Unmöglichkeit eine gemeinsame Lösung zu finden, bei der man nicht das Gefühl hätte "die anderen" haben einen übers Ohr gehaun).

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BenjaminK
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von BenjaminK »

Naja, so wirklich Einfluss ist das ja immer noch nicht. Das meinte ich damit, dass man nur die Höhe beeinflussen kann. "Wenn ihr nicht spurt, setz ich die Zahlung auf 0!" ist halt was anderes als "Nimm es für diesen Verwendungszweck".

Aber ja, "Rechenschaft ablegen" ist vielleicht etwas schwammig. Wir sind noch zu viel in die Nationalstaaten eingebunden. Die Souveränität eines einzelnen Nationalstaats bedeutet auch die Verantwortung für schlechte Entscheidungen zu tragen. Wären wir eine EU, müsste die EU die Verantwortung tragen, wodurch Transferleistungen wieder in Ordnung sind.

Dass das nicht unbedingt auf Zustimmung tritt und dass "Wir Deutschen" auch mal die Nase rümpfen, weil "Wir [besondere] Deutsche" ja jetzt wieder einmal für "Die [anderen] Deutschen" bezahlen müssen (sei es Wiedervereinigung, Anti-Ost, Bayern vs. Rest etc) ist unbestritten. Praktisch haben wir aber einen Länderbund, der entweder gemeinsam scheitert oder gemeinsam funktioniert. In schlechten Zeiten flüchtet sich kein souveränes Land unter den Schutz des Bundes um Subventionen zu bekommen, um dann in guten Zeiten die Souveränität zu erklären.

Was das prominente Beispiel angeht: Naja, irgendwie hat doch dann die obere Instanz gepennt, wenn die untere Instanz genügend in Eigenregie falsch machen kann, dass es die obere Instanz in ernste Schwierigkeiten bringt, ohne dass da jemals wer was von wusste.
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Re: Europa in der Krise?

Ungelesener Beitrag von Gubblinus »

Das Verhältniss Land-Bund ist wesentlich komplizierter als der eine ist dem anderen Rechenschaft schuldig, Bund und Länder sind nicht 100% autoritär organisiert. Länder haben Anrecht auf Budget vom Bund (ohne wirkliche "Rechtfertigung" wofür sies verwenden! warum auch, sind immerhin auch gewählt). Richtig ist dass es ein Fehler war (in dem konkreten Fall) einem Bundesland Verpflichtungen zu erlauben die weit (sehr weit) über das hinausgehen was das Bundesland pro Jahr erwirtschaften oder tragen kann.
Aber solche "nicht verbotenen Sachen die den Bund zur Zahlung verpflichten können" gibt es sicher viele, traditionell waren diese Länder mal eigenständig, die haben sich Rechte (in kleinem Rahmen auch Gesetzgebung, in Deutschland soweit ich weiß zB auch den Lehrplan, Jugendausgehzeiten etc.) behalten. Klar in wesentlich kleinerem Rahmen als das ein souveränes Land tun würde, aber auch in den USA sind sehr viele Dinge nicht in den Bund gegangen (bis zur Gerichtsbarkeit die teilweise nicht grenzenübergreifend war oder ist) obwohl im Endeffekt der Bund für Verfehlungen die er nicht kontrollieren kann haften muss.

Alles kein Problem solange das Gemeinschaftsgefühl da ist, regt sich keiner wirklich drüber auf (außer kleine "Sticheleien", ja, können manchmal schon heftig werden, aber nichts wirklich ernsthaftes).

Und Griechenland wurde sehr effektiv zur Umsetzung von Auflagen gezwungen. So effektiv dass eine gewählte Regierung eines souveränen Staates ihr eigenes Wahlprogramm, ihr eigenes Regierungsprogramm und ihre eigenen Wiederwahl quasi aufgeben musste. Ich kann mir in Österreich zB nicht vorstellen dass eine Bundesregierung so mit der Landesregierung von Niederösterreich umgehen könnte, wie mit Griechenland umgegangen wurde! (man kann dem Land NÖ nicht einfach so Geld aus dem Budget streichen oder Kompetenzen nehmen, außer die Bundesländer stimmen zu ...)

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