Als Experten würde ich mich nicht bezeichnen, ein wenig Einblick habe ich in meiner Zeit in Japan aber genossen.
Nevit hat geschrieben:Wie sieht eigentlich Soziale Arbeit in Japan aus? Gibt es, ählich wie in Deutschland, Jugendwohnheime, öffentliche Jugendarbeit, Streetworker etc.?
Der Staat hat sich in Japan lange Zeit wenig in die Jugendarbeit, welche meist auf kommunaler Ebene organisiert war eingemischt. Von einer wirklichen zentralen Steuerung kann erst seit 2010 die Rede sein. Auch sind die Jugendprobleme in Japan etwas anders gelagert als z.B. in Deutschland. Integration/Förderung von Migrantenkindern ist dort z.B. im Gegensatz zu uns praktisch überhaupt kein Thema. Dafür haben sie andere Probleme. Der folgende Text stammt nicht von mir, gibt aber IMHO einen ganz guten Überblick.
Die Jugendarbeit in Japan in der Vergangenheit
Viele Jahre lang war Jugendarbeit in Japan weitgehend „Aktivitäten von Jugendgruppen“ überlassen, die darauf abzielten, die persönliche Entwicklung junger Menschen durch Outdoor-Unternehmungen und Gruppenaktivitäten zu fördern. Insbesondere in den 60iger und 70iger Jahren erreichten Aktivitäten beispielsweise von Pfadfinder(innen)organisationen vor dem Hintergrund wachsenden materiellen Wohlstands und vermehrter Freizeit in Folge des stetig hohen Wirtschaftwachstums ihren Höhepunkt.
Die Auswirkungen des sozialen und ökonomischen Wandels
In der Folgezeit jedoch gingen solche Aktivitäten einhergehend mit dem umfassenden sozialen und ökonomischen Wandel, rückläufigen Geburtenraten und veränderten Lebensstilen der Bevölkerung immer mehr zurück. Die Probleme der jungen Menschen hingegen wurden immer vielfältiger und schwieriger zu lösen; Verhaltensweisen wie Jugendkriminalität zählen hierzu ebenso wie das Schulschwänzen und der Rückzug aus der Gesellschaft (Hikikomori). Das Konzept der Förderung der Entwicklung von Jugendlichen und die Ansätze dafür befinden sich derzeit an einem Wendepunkt. Insbesondere auch da die Funktion (Fähigkeit zum erzieherischen Einwirken auf Jugendliche) lokaler Gemeinwesen, die zu den Hauptakteuren herkömmlicher Jugendentwicklung/Jugendarbeit zählen, an Bedeutung verloren hat.
Neues Jugendgesetz
Mit dem Ziel die unterschiedlichen Problematiken Jugendlicher anzugehen wurde im April 2010 der nationale Act on Promotion of Development and Support of Children and Young People von der japanischen Regierung verabschiedet. Dieses Gesetz spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Jugendarbeit in Japan. Die Umsetzung ist systematisch bis auf Lokalebene vorgesehen. Präfekturen bzw. Kommunen sind aufgefordert, gemäß der neuen nationalen Vorgaben Kinder- und Jugendpläne aufzustellen und verstärkt koordinierende Strukturen aufzubauen. In der Gestaltung der Angebote sollen Non-Profit-Organisationen (NPOs) noch stärker Aufgaben übernehmen.
Stärkung der NPOs
Die japanische Regierung hat das Potenzial von NPOs im sozialen Bereich und beim Aufbau einer harmonischen Gesellschaft erkannt und somit ein großes Interesse an der Weiterentwicklung des NPO-Sektors. Das entspricht dem „New Public“-Konzept der japanischen Regierung, das eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen staatlichen Akteuren und NPOs bei der Implementierung von sozialen Aktivitäten vorsieht. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung gemeinnütziger Organisationen (Act to Promote Specified Nonprofit Activities) im Jahr 1998 sind weitere Schritte unternommen worden, um die Rahmenbedingungen für NPO-Aktivitäten zu verbessern und die Gründung von NPOs zu erleichtern. So ergeben sich für sie gute Chancen, sich im Rahmen der Umsetzung eine gute Position in der Jugendarbeitsstruktur zu schaffen. Eine große Herausforderung für NPOs ergibt sich hinsichtlich der Finanzierung, da sie sich nicht auf staatliche Unterstützung verlassen können.
Nevit hat geschrieben:Und wie passen Menschen mit Behinderung in das Alltagsbild in Japan? Ist der Umgang ähnlich wie hier oder doch gänzlich anders?
Behindertenförderung ist in Japan ein großes öffentliches Thema und nimmt einen erstaunlich hohen Stellenwert ein. Bei allen öffentlichen Bauvorhaben wird penibel auf Barrierefreiheit geachtet. Blindenleitsysteme im Straßenverkehr sind extrem gut ausgebaut. Auch private Unternehmen messen Barrierefreiheit und der Behindertenförderung einen großen Wert bei, was man z.B. bei den Betreibern öffentlicher Verkehrsmittel selbst als Tourist deutlich wahrnimmt. Viele Konzerne engagieren sich in einer aktiven Förderung. Auch das Sozialversicherungssystem versorgt Behinderte (im Gegensatz zu einigen anderen Bevölkerungsgruppen, wie z.B. Arbeitslosen) vergleichsweise sehr gut.
Salix Lowanger hat geschrieben:Ich bin zwar kein Experte, aber, nachdem ich gehört habe, wie die Japaner damals mit Hiroshima-Opfern umgegangen sind (die waren mehr oder minder Ausgestoßene), vermute ich, wird das bei nicht einfach auszugleichenden Behinderungen (Brille) nicht wirklich schön für die Betroffenen sein.
Die Atombombenopfer a.k.a. 被爆者 (Hibakusha) sind ein Thema für sich.
Nach den beiden Atombombenabwürfen wurde die Bevölkerung Japans relativ lange darüber im Dunkeln gelassen was da genau in Hiroshima und Nagasaki explodiert ist. Die Bilder der unmittelbaren Strahlenschäden, der Strrahlenkrankheit, sowie die Erbschäden der folgenden Generation hatten aber alle sehr deutlich vor Augen. Dementsprechend waren Hibakusha und ihre Kinder häufig Opfer von Diskriminierung, insbesondere infolge mangelnden Wissens über die Strahlenkrankheit, von der viele Menschen glaubten, dass sie vererbbar oder sogar ansteckend sei. Selbiges hat sich dann auch relativ lange gehalten, insbesondere deshalb auch weil große Teile des Wissens über die Strahlenkrankheit erst anhand der beiden Atombombenabwürfe erforscht werden konnten - Siehe hierzu insbesondere die Arbeiten der
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